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Der Lack ist noch nicht ab. Marx (r.) und Engels werden wohl nicht nur im Filmpark Potsdam noch gebraucht.

© ddp

Von Mathias Hamann: Marx ist wieder in

Im Zeichen der weltweiten Finanzkrise: In Potsdam treffen sich Studenten, um das Kapital zu lesen

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„Marx wird wieder salonfähig“, frohlockt Moritz Kirchner. Der 24-jährige Psychologiestudent leitet einen sogenannten „Kapital-Lesekreis“ an der Uni Potsdam, keine offizielle Lehrveranstaltung sondern Freizeitvergnügen. Mit dem Beginn des Semesters startete das Comeback von Marx. Über 2000 Besucher sitzen von Greifswald bis Freiburg in diesen Zirkeln. Urheber dieser kleinen Oktoberrevolution: der Studentenverband Die Linke.SDS. Die will der herrschenden Ökonomielehre etwas entgegensetzen und natürlich auch politischen Einfluss gewinnen. Auch Moritz Kirchner ist Mitglied.

An drei Wochenenden hat sein Verband ihn zum Marx-Tutor ausgebildet, damit er den Charakter der Arbeit oder der Ware nach Marx erklären kann. Die Zuhörer erscheinen zahlreich, 42 kommen beim ersten Mal, zwei Wochen später sind immer noch 38 dabei. Eine Menge im Vergleich zu anderen Studenteninitiativen, die aus mangelnder Beteiligung einschlafen.

Wenige der Marxmenschen erinnern an das Klischee vom linken 68er-Studenten mit Rollkragen und Bart, die meisten gleichen eher Ralph-Lauren-Models. Wie Alexander Gayko: „Aus Interesse bin ich hier,“ sagt der Student in Jeans und modernem Pullover. „Marx ist für die Geschichte, die Politik schon relevant,“ ergänzt Susanne Eckler. Dann überfliegt die Studentin den Lektüreplan: Mehr als 200 Seiten des ersten Bandes vom „Kapital“ werden sie wohl nicht schaffen in diesem Semester. Als Studienbuch verwenden sie die legendären blaue Marx-Engels-Gesamtausgabe. Früher die Last mancher Flohmarkthändler und heute die Freude des Berliner Dietz-Verlages. „Das Kapital ist ausverkauft“, heißt es dort.

Wie steht es eigentlich sonst um Marx an den Hochschulen? Noch vor zehn Jahren populär, sieht es heute düster aus: An der Humboldt-Uni gibt es keine Lehrveranstaltung, in München ein Seminar, in Hamburg keins, nur die FU zu Berlin bietet drei: Eines fällt aus, eines titelt „Marx reloaded“ und ein anderes: „Was tun mit Marx?“ Warum schenken die Ökonomen Marx so wenig Beachtung? „Der ist überholt,“ sagt Wilfried Fuhrmann lachend in seinem Büro. Als Beispiel dafür erklärt der Professor für Makroökonomie an der Universität Potsdam die marxsche Arbeitsmarkttheorie: „Es soll direkte Relationen geben, zwischen der Arbeit einer Floristin und eines Gärtners.“ Im derzeitigen System regelt das der Lohn und die Präferenzen der Marktteilnehmer. Die legen fest, wie viel sie für einen Gärtner oder eine Floristin ausgeben wollen. „Doch Marx möchte das Geld heraushaben.“ Damit sei Marx schon zu seiner Zeit obsolet gewesen. Denn es frage sich: Wie verhält sich die Arbeit eines Sängers zu der eines Gärtners oder eine Arztes? Wer legt die Relation fest? Trotzdem meint der Professor: „Jeder Wirtschaftsstudent sollte mindestens das kommunistische Manifest kennen – das war eine exzellente Analyse des Kapitalismus.“ Und obendrein noch gut geschrieben.

„Marx kann auch heute noch Vieles erklären“, findet der studentische Kursleiter Kirchner. „Worauf die Arbeitspsychologie erst vor einigen Jahrzehnten kam, dass Menschen sich durch monotone Arbeit von ihrem Arbeitsprodukt entfremden, das publizierte Marx schon vor 141 Jahren“, so der Psychologiestudent. Konsequenterweise studiert er nun auch noch BWL an der Fern-Uni Hagen. „Das passt gut zusammen.“

Kapital Lesen, jeden Donnerstag, ab 19 Uhr, Uni Potsdam, Neues Palais, Haus 6 Raum 216 mehr Information auch unter www.kapital-lesen.de.

Mathias Hamann

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