Von Guido Berg: Maserati unter der Erde
Auf der Spur einer für dumm gehaltenen Ratte ist auf dem Bornstedter Friedhof eine barocke Gruft entdeckt worden
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Bornstedter Feld - Als es anfing, war es nur ein kleines Loch in der Wiese. Ein Rattenloch, dachte Jutta Erb-Rogg. Doch was für eine blöde Ratte, sie gräbt ihren Eingang Mitten auf der Wiese. Kluge Ratten machen das versteckt, am Rande, grübelte die Chefin des Bornstedter Friedhofs zunächst. Nun ja, gibt sie heute zu, sicher habe es Gerüchte gegeben, „der eine weiß das, der andere das“, aber zu tun hat Jutta Erb-Rogg auf ihrem 400 Jahre alten Schmuckstück ohnehin genug und außerdem: „Wer springt schon auf Probleme vom Hören-Sagen an?“
Irgendwann war klar, dass die Ratte nicht nur dumm, sondern auch recht groß sein muss. Zu groß. An anderen Stellen sackte Kompost einfach nach unten weg, in größeren Mengen. Mit der aufsteigenden Erkenntnis, dass es an der Stelle womöglich abwärts gehen könnte, keimte bei der engagierten Christin der Sinn für Sicherheit: Immerhin standen ganze Busladungen vor dem nahen Henning von Tresckow- Gedenkstein. Leicht hätte eine Ehrung für den Widerständler des 20. Juli zu einem Fiasko werden können. „Da musste ich handeln.“
Jutta Erb-Rogg ließ graben. Zunächst kamen unter einer dünnen Schicht Erde Holzbohlen zum Vorschein. Nachdem diese abgedeckt waren, blickten die Friedhofs-Forscher in ein unterirdisches Gemäuer, in eine Gruft. Ein Mitarbeiter der Baudenkmalpflege-Firma Roland Schulze wagte – an den Füßen festgehalten – einen ersten Blick ins Dunkle. Er sah ein klassisches Tonnen-Gewölbe, der einen sechs Meter langen und drei Meter breiten Raum überspannt. Nachdem eine Leiter geholten worden war, stieg das Erkundungsteam in die Totenwelt hinab, deren Bauzeit zunächst unklar war. Überirdisch steht das Grabmal des Obstgroßbauern Louis Lendel, der 1933 begraben wurde. Stammt die Gruft aus dieser Zeit? Doch plötzlich habe der Architekt Bernd Redlich aus der Gruft gerufen: „Huch, das ist ja barock!“
Das Rattenloch erwies sich als Luftloch für eine Gruft aus der Zeit um 1750. Jutta Erb-Rogg zuckt mit den Schultern, aus der Zeit gibt es nur wenige Unterlagen. Immerhin, die berühmte Bornstedter Kirche wurde erst über 100 Jahre später gebaut. Auf Begräbnislisten steht nur, wer wann in Bornstedt begraben wurde, aber nicht wo auf dem Friedhof und schon gar nicht, wie.
So ist unbekannt, wer in der Gruft ursprünglich seine letzte Ruhe fand. Klar ist nur, wer dort jetzt ruht. Haben sich die Augen an das fahle Licht gewöhnt, schälen sich die Umrisse eines Sarg-Inlets aus Zink aus der Dunkelheit, darin – mit hoher Wahrscheinlichkeit – die sterblichen Überreste von Louis Lendel. Der war „eine lokale Größe“, so die Friedhofschefin. Der Bornstedter Wolfgang Raetsch erinnert sich an eine große Saftmosterei, die Lendel betrieb. Das Haus Amundsenstraße 46 habe zu dem Anwesen gehört. Es gebe auch eine Verwandschaft zur Werderschen Lendel-Familie.
Doch wie kam Lendel in die barocke Gruft? Der Haupteingang war bereits verschüttet; 1924 und 1927 fanden gleich anbei Beerdigungen statt. „Dort hat 1933 niemand aufgemacht, das hätte wie die Pest gestunken.“ Jutta Erb-Rogg glaubt, dass für den Obstbauern der Zugang gemauert wurde, den nun auch die Wiederentdecker per Leiter nutzen. Neben Lendel ruht seine Frau Elisabeth, deren Sarg jedoch ohne Zink-Kapsel ausgestattet war und die daher bereits weitgehend wieder das ist, aus dem sie gemacht war. „Denn Staub bist du, und zum Staube wirst du zurückkehren!“ (Bibel: 1. Mose 3,19).
An der Gewölbedecke haben sich zwei Personen verewigt: „W. Kraatz - 18.3.1933“ steht da, sowie „P. Lehmann - 12.10. 1938“. Vielleicht waren es Bestatter, die „ihre Duftmarken hinterlassen haben“, vermutet Jutta Erb-Rogg. Während Regen in die Gruftöffnung fällt, bietet das Gewölbe etwas Schutz. Die Friedhofsverwalterin geht in die Hocke, um nicht gebeugt stehen zu müssen. Sie resonniert darüber, warum die Leute Grüfte anlegen, kostspielige Grabbauten. Weil sie sich von dem Armen unterscheiden wollten, die im Leinentuch flach unter der Erde vergraben wurden; weil sie bedeuten wollten, glaubt sie, „ich kann es mir leisten und ihr nicht.“ „Quasi, ein Mercedes nach dem Tod?“ wird sie gefragt. „Eher ein Maserati“, sagt sie lachend.
Diskutiert wird derzeit, was aus der Gruft werden soll. Dazu wollen sich die Denkmalpfleger, die Kirchengemeinde Bornstedt und der Förderverein an einen Tisch setzen. Jutta Erb-Rogg hat Angst, dass viel Geld des Fördervereins ins Unterirdische investiert werden könnte, wo doch oberirdisch noch viel zu sanieren wäre. Sie glaubt nicht, dass sich ein Großspender findet. „Die wollen sehen, wo ihr Geld bleibt.“ Das ist bei einer Gruft eher nicht der Fall. Schwierig wäre auch, den Haupteingang zu rekonstruieren. Dazu müsste ein Nachbargrab von 1978 gestört werden, das ist Jutta Erb-Rogg zufolge aber „noch in Betrieb“.
Eigentlich hätte die barocke Gruft schon kurz nach 1990 entdeckt werden können. Ehrenamtliche Helfer legten damals eine Wasserleitung und schlugen dabei ein Loch in das Gewölbe. Notdürftig schlossen sie es wieder – „ehe der Pfarrer es merkt“.
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