Probe für den Ernstfall: Massenkarambolage im Industriegebiet
Mehr als 130 Potsdamer Retter und Katastrophenschützer übten bei simuliertem Unfall für den Ernstfall
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Potsdam - Ein Massenunfall auf der Nuthestraße oder auf der A 115 dürfte den Rettungskräften vor Ort alles abverlangen. Das verdeutlichte eine Übung am Samstag auf der Straße neben der Eisenbahnlinie im Industriegebiet Rehbrücke. Das Szenario: Ein Tankwagen verursacht eine Ölspur. Die Bremsen versagen. Nach dem Zusammenprall mit einem Auto läuft Benzin aus, der nachfolgende Lastwagen gerät ins Schleudern und prallt gegen die Leitplanke. Es kommt zu einem Großunfall mit mehreren Autos und einem Reisebus mit fünfzig Passagieren.
Die Folgen sind verheerend. Ein Opel Astra hat sich überschlagen, liegt mit dem „Rücken“ auf der Fahrbahn und über ihn hat sich ein weiterer Wagen geschoben. Beide Autos sind voll besetzt. Um 9.30 Uhr wird die Feuerwehr alarmiert und rückt zum Einsatzort aus. Rettungsdienst und Notfallmedizin werden von der Einsatzstelle aus in Alarm versetzt und koordiniert.
Wer glaubt, dass nach solch einem Ereignis alles minutenschnell abläuft wie ein Uhrwerk, wird schnell eines Besseren belehrt: Bis zur Bergung des letzten Verletzten vergehen mehr als zwei Stunden. Aus den Autos müssen die Feuerwehrleute die Menschen gleichsam herausschneiden und mit einem hydraulischen „Spreizer“ die verklemmten Türen herausbrechen. Die Männer kriechen durch die gesprengten Fenster in das Innere, schieben eine schmale Trage unter den Körper des Verletzten und ziehen ihn unter sichtlichen Anstrengungen nach draußen. Dort warten weitere Retter, welche die Verletzten in die beiden vom Technischen Hilfswerk errichteten Zelte transportieren.
Nach einer Stunde ist das Rettungscamp komplett und die Hilfsmaßnahmen laufen auf Hochtouren. Der Leitende Notarzt trifft die notwendigen Entscheidungen, wie die 65 Geschädigten je nach Schwere der Verletzungen versorgt werden. Als „Vorsichtungskonzept“ bezeichnet Übungsleiter Rainer Schulz von der Potsdamer Berufsfeuerwehr dieses Vorgehen. An den Rettungszelten stehen inzwischen vier Fahrzeuge des Lazarettregiments der Bundeswehr. Matthias Graf von Schwerin, Leiter des Kreisverbindungskommandos Potsdam mit Sitz in der Havellandkaserne, erläutert: „Wenn die örtliche Hilfe nicht reicht, zum Beispiel hier für den Transport von Verletzten, können wir unterstützen.“ Er sei in diesen Fragen der militärische Berater des Oberbürgermeisters.
Alle Rettungsmaßnahmen wären gefährdet, würde sich das ausgelaufene Benzin entzünden. Bereits fünfzehn Minuten nach der Massenkarambolage ist die Gefahr mit einem riesigen Schaumteppich gebannt. „Der Schaum trennt die brennbare Flüssigkeit vom Luftsauerstoff“, erläutert Potsdams Feuerwehr-Chef Wolfgang Hülsebeck.
Die Verletztendarsteller sind das A und O einer solchen Großübung. Rainer Schulz, Bereichsleiter Gefahrenabwehr, erzählt, dass er 65 Darsteller, die zum Teil als martialisch Verletzte geschminkt waren, gewinnen konnte. Wie der 20-jährige René Schwan aus Klein Glienicke, der als Letzter aus einem Unfallwagen geborgen wurde, rekrutieren sich die meisten aus freiwilligen Feuerwehren. „Leider fanden unsere Aufrufe im Internet nicht die erhoffte Resonanz“, sagt Schulz. „Eigentlich sollten über hundert Darsteller mitwirken.“ Immerhin aber waren drei „richtige Ärzte“ vor Ort. Mit von der Partie waren außerdem sachkundige Beobachter der Szenerie auf dem zweihundert Meter langen Straßenabschnitt. Sie werden in einer Auswertung kritisch anmerken, wo es bei der Übung noch gehapert hat. An der Rettungs- und Bergungsübung beteiligten sich mehr als 130 Einsatzkräfte des Katastrophenschutzes, der Potsdamer Freiwilligen Feuerwehr und der Berufsfeuerwehr sowie des Deutschen Roten Kreuzes, des Technischen Hilfswerkes und der Bundeswehr.
Oberbürgermeister Jann Jakobs wagte nach Ende der dreistündigen Rettungsshow, bei der zahlreiche Zaungäste zuschauten, eine Einschätzung: „Ich halte die Übung für erfolgreich.“ Das notwendige Zusammenspiel aller Kräfte müsse regelmäßig trainiert werden, um im Ernstfall richtig handeln zu können. Diese Meinung teilt Elona Müller-Preinesberger, die als Beigeordnete für das Wohl und Wehe der Bürger bei Gefahren verantwortlich ist. Sie erläutert, dass die Verwaltung auf ein abgestimmtes Handeln bei Katastrophen gut eingestellt ist: „Die Verantwortlichen sind jederzeit telefonisch erreichbar.“ Zum Beispiel werde vor jeder Entschärfung einer Bombe aus dem Weltkrieg ein spezieller Evakuierungsplan aufgestellt, um die Bevölkerung aus dem Gefahrengebiet zu holen. Zudem sichere ein Katastrophenschutzplan, dass die Stadt selbst im schlimmsten Fall nicht kopflos ist.
Günter Schenke
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