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Weit weg. Sternwolke RCW 120.

© dpa

Von Richard Rabensaat: Mathematiker und Sonnengötter

Die Vorstellungen vom Kosmos lassen noch immer viel Platz für Spekulationen. Ein Symposium am AIP

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Die Weltkugel lastet schwer auf Atlas Schultern. Sie ist verziert mit Schiffen, Figuren, Längen- und Breitengraden. Die Statue aus dem zweiten Jahrhundert steht im Museum in Neapel, sie ist eine Kopie einer älteren hellenistischen Figur, die den Kosmos aus antiker Perspektive zeigt. Sie diente der Illustration des Weltganzen bei dem Symposium „Vom Himmel der Götter, zum Kosmos der Wissenschaft“, zu dem das Astrophysikalische Institut Potsdam (AIP) unlängst eingeladen hatte.

In der Gesprächsreihe „Geisteswissenschaft im Dialog“ loteten Naturwissenschaftler, Theologen und Geisteswissenschaftler das Spannungsfeld zwischen mythischen, glaubensgeprägten Vorstellungen vom Weltall und wissenschaftlicher Erkenntnis aus. Die Vorstellung vom Weltzusammenhang wandelte sich im Laufe der Jahrhunderte, aber es kursieren auch eine Reihe populärer Irrtümer. „Es gibt keinen einzigen Beleg dafür, dass man im Mittelalter die Erde für eine Scheibe gehalten hätte“, stellte der Philosoph Richard Schröder fest. Damit widerspricht er einer populären Vorstellung über das Weltbild der Menschen im Mittelalter.

Der Blick in den Himmel sei vom kulturellen Hintergrund und dem Wissen und dem Glauben geprägt, konstatierte José G. Funes, Leiter der vatikanischen Sternwarte in Rom. Nach Kant verdampft der Blick ins Weltall den Mensch zu einem Staubkorn. Juri Gagarin, der erste Astronaut im Weltraum, allerdings meinte, er sei keinem Gott begegnet. „Was ist die Erklärung und die Bedeutung des Kosmos, in dem intelligente Wesen Schmerz, Leid und Tod erfahren?“, fragte Funes nicht zuletzt aus theologischem Interesse. Sich mit Fragen nach dem Sinn und der Beschaffenheit des Universums zu beschäftigen, sei ein Luxus den sich überhaupt nur Menschen in den wohlhabenden Industriestaaten erlauben könnten, gab der Jesuitenpater Funes zu bedenken.

Vorstellungen vom Universum hat sich der Mensch allerdings in allen Kulturen und Jahrhunderten gemacht. Zu allen Zeiten gab es die zweigeteilte Sicht auf den Himmel aus wissenschaftlicher und religiöser Perspektive. „Es gibt neben dem mythologischen aber auch das wissenschaftliche Weltbild der Griechen und Römer; und das ist wesentlich komplexer und wesentlich uneinheitlicher“, stellte der Archäologe Dietrich Boschung fest.

Die heutigen wissenschaftlichen Vorstellungen von Kosmos und Planeten sind wesentlich geprägt von Kopernikus, der um 1509 mit seiner Theorie die Sonne in den Mittelpunkt der Planetenbahnen stellte. Schon vorher hatten sich die Menschen Gedanken über die Stellung der Gestirne gemacht. Bei den alten Griechen war bereits Aristarchos von Samos um 300 v. Chr. auf die Idee gekommen, dass die Erde um die Sonne kreise. Er hatte sich damit allerdings nicht durchsetzen können. So bestimmte dann gut 1500 Jahre das geozentrische Weltbild das Denken der Menschen, bis schließlich Kopernikus die Wende brachte. Der vielseitig beschlagene Arzt, Astronom und Ökonom erstellte ein mathematisches Modell, das die heliozentrische Weltsicht formulierte. Erst Keppler berechnete aber die Planetenbahnen als Elipsen. Langsam änderte sich das Weltbild und Selbstverständnis des Menschen als gottgewollter Mittelpunkt des Universums. „Die Geozentrik galt als selbstverständlich, war aber nie Gegenstand dogmatischer Deklaration“ bemerkte der Theologe Richard Schröder. Nachdrücklich wies er darauf hin, dass zunächst eine ausgesprochen fruchtbare Auseinandersetzung zwischen der katholischen Kirche und Galileo Galilei stattfand, bevor der neuzeitliche Astronom sich verpflichtete, nicht mehr ostentativ mit seiner heliozentrischen Sicht des Weltalls hausieren zu gehen. Erst die nachfolgenden Jahrhunderte, insbesondere Bertolt Brecht, machten Galilei zum Protestler gegen Glaubensdogmen, so Schröder.

Parallel zum wissenschaftlichen Streben nach Erkenntnis beflügelten die Gestirne stets auch die Imagination der Menschheit. Die Ilias beschreibt im achten Jahrhundert v. Chr. wie Helios mit seinem Sonnenwagen über den Himmel zieht. Die gleiche Vorstellung vom Gang der Sonne pflegten auch die Römer. Himmel und Erde, Feuer und Wasser waren für die antike Menschheit in mythologischer Ursuppe mit Götterwelten vereint, das Weltall galt als beseelt. Erst die monotheistischen Religionen etablierten eine nüchternere Sicht auf die Dinge.

Mittlerweile sind romantische Göttervorstellungen allerdings modernen Vorstellungen von Aliens und anderen Fabelwesen gewichen. Der Astrophysiker Stephen Hawking spekuliert auf die nahe Ankunft von recht fantasievollen, Stachel bewährten, außerirdischen Lebewesen. In Eintracht mit einschlägigen Science Fiction vermutet er, dass es sich um Plagegeister handelt. Darauf dass die Lehrmeinung in der Astrophysik sich zunächst einmal lieber von nachprüfbaren Rechenmodellen leiten lässt, wies der AIP-Direktor, Matthias Steinmetz, hin. Etwa die Hälfte der Teilchenarten im „Standardmodell der Teilchenphysik“ sie zunächst errechnet und dann bewiesen worden. Trotz des mittlerweile weit in den Weltraum reichenden Blickes dank Teleskopen und Sternwarten sei die menschliche Vorstellung vom Kosmos allerdings noch immer recht ungenau, gab Steinmetz zu bedenken: „95 Prozent des Universums liegen in völlig unbekannter Form von dunkler Materie und dunkler Energie vor“. Vielleicht ist Hawkings Vorstellung von Außerirdischen doch nicht so abwegig.

Richard Rabensaat

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