zum Hauptinhalt

Homepage: Mehr Licht

Nachfolger des Einsteinturm-Teleskops: AIP baut auf Teneriffa „leistungsstärkstes Sonnenteleskop der Welt“

Stand:

Nachfolger des Einsteinturm-Teleskops: AIP baut auf Teneriffa „leistungsstärkstes Sonnenteleskop der Welt“ Von Guido Berg Goethe war genial bis zum letzten Atemzug – falls die postmortalen Überlieferungen stimmen. Noch mit seinen letzten beiden, quasi dahingehauchten Wörtern gelang es ihm – wenn auch ungewollt – das Leitmotto der Astronomen zu formulieren: „Mehr Licht“. Denn das ist der Grund, warum die Teleskope der Himmelsforscher immer größer werden: Sie sollen mehr Licht einfangen. Oder mehr Photonen, wie sich Professor Jürgen Staude vom Astrophysikalischen Institut Potsdam (AIP) ausdrückt. Größere Teleskope fangen mehr Licht ein, wodurch die Bildauflösung größer wird und feinere Strukturen im Beobachtungsobjekt sichtbar werden. Das Beobachtungsobjekt von Staude ist die Sonne. Die bietet Licht im Überfluss, könnte man meinen. Die Nachtastronomen, die ihre Instrumente auf winzige Pünktchen am Sternenhimmel richten, würden die Sonnenforscher immer auslachen. Von wegen „mehr Licht“: Was sollen wir denn sagen? Dabei haben Staude und seine Kollegen mit dem Sonnenlicht auch ihre Probleme. Die Riesenrohre, mit denen die Sternenspäher arbeiten, würden, auf unser Zentralgestirn gerichtet, sehr bald von der Hitze zerstört. „Bei Sonnenteleskopen“, erklärt der Potsdamer Forscher, „entstehen im Brennpunkt der verwendeten Spiegel enorm hohe Aufheiztemperaturen“. Daher sind Sonnenteleskope relativ klein und beinhalten Kühlmechanismen. Gegenwärtig baut das Astrophysikalische Institut auf den Ausläufern des Vulkans Teide auf der Kanareninsel Teneriffa das neue Sonnenteleskop „Gregor“ – ein Gemeinschaftsprojekt des Potsdamer AIP mit dem Kiepenheuer Institut für Sonnenphysik (KIS) in Freiburg und der Universitäts-Sternwarte Göttingen. „Gregor“ ist mit seinem im Durchmesser 1,5Meter großen Hauptspiegel für Sonnenteleskope „extrem groß“, frohlockt Staude. Es wird nach seiner Fertigstellung „das leistungsfähigste Sonnenteleskop der Welt“ sein. Das Gerät, das bisher diesen Rang inne hatte, das McMath-Pierce-Teleskop auf dem Kitt Peak in Arizona, USA, habe zwar auch einen 1,5-Meter-Durchmesser, sei aber schon 40 Jahre alt. Das größte Sonnenteleskop auf dem europäischen Festland ist übrigens auch das älteste auf dem alten Kontinent: Es ist das 60-Zentimeter-Instrument im Potsdamer Einsteinturm. 1924 errichtet, feiert es am heutigen Tag sein 80-jähriges Jubiläum. „Wir nutzen es noch“, erklärt Prof. Staude, „beispielsweise zur Vorbereitung von Experimenten, die wir dann mit ,Gregor’ durchführen werden.“ „Gregor“ hat gegenüber seinem historischen Vorläufer aus den Zwanzigern einige technische Raffinessen aufzuweisen: So bestehen seine Spiegel aus Siliziumkarbid, einem Material mit enorm hoher Wärmeleitfähigkeit – schnell wird die an der Sonnenseite des Spiegels entstehende Hitze zur Spiegelrückseite durchgeleitet. Dort kann sie abgeführt werden. Weiterhin befinden sich im Hauptspiegel einzelne Kammern, durch die ein Kühlmittel fließt. Ein weiterer „Gregor“-Clou ist seine adaptive Optik: Turbulenzen in der Erdatmosphäre, etwa durch aufsteigende Wärme, werden gemessen und korrigiert mittels eines Spiegels, der sich computergesteuert deformieren lässt. Auf diese Weise soll „Gregor“ scharfe Bilder liefern, wo herkömmliche Teleskope nur verflimmerte Abbilder produzieren. Das neue High-Tech-Rohr auf seinem 17Meter hohen Träger-Gebäude wird voll beweglich sein – anders als beim Einstein-Turm, wo das Teleskop starr im Turm verharrt und ihm das Sonnenlicht durch außerhalb des Teleskoprohres befindliche Spiegel zugeleitet wird. Da sich die Erde um die Sonne dreht, steht die Sonne nicht still am Firmament, sondern wandert. Diese Bewegung muss das Teleskop mitgehen – ähnlich wie ein Fernglas, mit dem ein fahrendes Auto beobachtet wird. „Gregor“ kann selbst die Sonne permanent im Visier halten und benötigt keine „Außenspiegel“, an denen unerwünschte „Dreckeffekte“ entstehen, so genannte „parasitäre Polarisationen“, erklärt Prof. Staude. Die AIP-Forscher erwarten, dass mit „Gregor“ noch Einzelheiten von 70 Kilometer Durchmesser auf der Sonne erkannt werden. Sein Hauptforschungsfeld wird die Spektral- und Polarisationsanalyse sein. Aus den Spektren des Lichts lassen sich Rückschlüsse auf Temperatur, chemische Zusammensetzung und Magnetfelder der Lichtquelle ziehen. Prof. Staude erinnert daran, dass Magnetfelder aus Sonnenspektren erstmals in den 40er Jahren im Potsdamer Einstein-Turm gemessen wurden. Physikalische Grundlage dieser Messungen: Im Magnetfeld spalten sich Spektrallinien des Lichts auf – je größer das Magnetfeld, um so intensiver die Aufspaltung. Sonnenflecken sind nichts anderes als starke Magnetfeldbündel, erläutert Professor Staude. Das „Gregorianische Zeitalter“ am Potsdamer AIP beginnt voraussichtlich im Mai 2005. Dann feiern die Forscher auf der Hochebene des Teide das „First Light“, das erste Licht, das das Innere des „Gregor“-Teleskops flutet. Vielleicht wird es gelingen, die Sonneneruptionen besser zu verstehen, dieses abrupte Freiwerden von in Magnetfeldern gespeicherter Energie. Dabei werden große Massen aus der Sonne heraus geschleudert. Starke kurzwellige Strahlung im ultravioletten Spektralbereich sowie hochenergetische Teilchen-Strahlung aus Elektronen und Positronen rast auf die Erde zu und kann den Funkverkehr oder die Stromversorgung stören. „Wir möchten solche Vorgänge voraussagen können“, definiert Staude ein Wissenschaftsziel. Das Licht, das die zu entschlüsselnden Geheimnisse als solare Botschaft enthält, braucht acht Minuten für die Distanz zwischen Sonne und Erde. Die schnellsten Teilchen ein paar Stunden. Die Zeitdifferenz könnte für Sicherungsmaßnahmen genutzt werden – ein praktischer Aspekt der Sonnen-Forschung. Am 18. September, zur „Langen Nacht der Sterne“, lädt das Astrophysikalische Institut Potsdam ab 14 Uhr zu einem Tag der offenen Tür mit diversen Vorträgen und Führungen ein.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })