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SAMSTAGScocktail: Mein Büro

Was macht eigentlich mein Büro, wenn es keinen Besuch von mir hat? Tagsüber tut es vernünftig.

Stand:

Was macht eigentlich mein Büro, wenn es keinen Besuch von mir hat? Tagsüber tut es vernünftig. Es nimmt sich zurück, hält still. Aber es handelt sich um ein angespanntes Stillhalten, das sich sofort entlädt, sobald ich aus der Tür bin. Es ist ungefähr wie beim Stoppspiel: Dreht man sich um, rührt sich nichts, aber kaum hat man ihm den Rücken zugekehrt, beginnt das Gewusel. Wenn die Menschen verschwunden sind, hängen die Büros in dem Haus eine Weile miteinander ab. Die anderen beneiden meins um seine Lage. Weil es ganz oben liegt, hat es den besten Blick. Aber ich hab ja nur das eine Dachfensterchen, wehrt mein Büro bescheiden ab, hält den Neid der anderen aber insgeheim für gerechtfertigt. Irgendwann zieht sich jedes wieder in sich zurück und genießt die sturmfreie Bude, also sich selbst, noch ein paar Stündchen allein. Mein Büro legt die Beine hoch, und kurz kommt ihm der Gedanke, es bräuchte mich eigentlich gar nicht. Doch dann sehnt es sich plötzlich schrecklich nach mir. Es langweilt sich mit der Nacht. Es blickt die tote, regennasse Einkaufsstraße hinunter, blättert ein wenig in den herumliegenden Büchern, aber es hat sie alle schon gelesen. Verdrießlich wartet es auf den Morgen. Darauf, dass die Lieferfahrzeuge mit großem Geräusch ihre Laderampen runterlassen, um Bäcker, Zeitungsladen und Drogeriemarkt zu befüllen.

Endlich die ersten Menschen. Zuerst Fahrradfahrer, die haben es eilig, ein paar versprengte müde Mütter mit Kinderwagen, Regenplane drüber, dann tauchen Grüppchen auf, Rentner und Schüler, sehr viele Schüler, was machen all die vielen Schüler vormittags in der Einkaufstraße, fragt sich mein Büro. Es lauscht. Aus seinem kleinen angeklappten Dachfensterchen lauscht es auf Gesprächsfetzen, die es auf Notizzettel kliert, in der Hoffnung, ich könne mit diesen Nachrichten langer zäher Stunden allein vielleicht etwas anfangen. „Dann hätte ich den in der Havel ersäuft, ich schwör's dir.“- „Morgen ist das Schlafzimmer leer, da könnten wir rein.“- „Es gibt nicht so oft Postbank. Ja, Postbank ist eine relativ kleine...“- „Aber ich hab fünf Punkte in der Mathearbeit und ne Fünf minus.“- „Ich bin kein Arzt, der die Leute einfach so krank schreibt, aber bei Ihrem Beruf sollten sie sich mal überlegen, eine Pause...“- „Was sagt denn der Gabelmann dazu? Gabelmann?!“- „Also nächste Woche, gleich Anfang der Woche, muß ich einen Termin haben!“

Danke, Büro, für diese Kolumne.

Unsere Autorin lebt in Potsdam. Zuletzt erschien von ihr der Roman „Selbstporträt mit Bonaparte“.

Julia Schoch

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