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Sieger-Typ. Kevin Kuske (31) aus Potsdam gewann als Bob-Anschieber Olympia-Gold 2002 in Salt Lake City (unten Mitte) und 2006 Turin (unten rechts und links) sowie jetzt in Vancouver-Whistler Gold (oben links) und Silber (rechts).

© Michael Meyer

Sport: „Meine Mutter war immer mein Vorbild“

„Wenn man nicht an Gott glaubt, sollte man sich nicht taufen lassen.“ „Das war gleich mein erster Titel, als ich in Whistler ankam.“ Potsdams Bob-Olympiasieger Kevin Kuske über seinen Sport, sein Erfolgsgeheimnis und seinen Glauben

Stand:

Herr Kuske, eigentlich haben Sie als Bob- Anschieber doch einen prima Job. Sie laufen fünf, sechs Sekunden lang 30, 40 oder 50 Meter eine Bahn hinunter, springen in den Schlitten vor sich und lassen sich vom Piloten den Eiskanal hinunterfahren.

Von wegen – wir Anschieber müssen auch unterwegs hellwach sein und den Rhythmus der Bahn mitgehen. Ich selbst habe während der Fahrt die Augen zu und folge so innerlich den Kurven, die ich mir vorher bei der Bahnbegehung eingeprägt habe.

Was haben Sie während der Olympischen Spiele in Vancouver, von denen Sie gerade zurück sind, gedacht, als Ihr Viererbob mit dem Oberhofer André Lange als Pilot auf der Bahn in Whistler im zweiten Rennen fast gestürzt wäre?

Da haben wir an gar nichts gedacht, sondern blitzschnell gehandelt. Wenn man in Whistler aus der Kurve 13 kommt, fliegt man regelrecht in die 14 rein – da mussten wir Anschieber Schulter und Hintern nach links drücken, während André das Steuerseil nach links zog. Im zweiten Rennen haben wir sofort gemerkt, dass wir nur noch auf den rechten Kufen fuhren, und haben uns noch stärker nach links geworfen. Das hat uns den Hals gerettet.

Andere Bobs sind in dieser sogenannten Fifty-fifty-Kurve gestürzt. Hat Sie das berührt?

Damit haben wir uns überhaupt nicht beschäftigt. Wir sind eine Rennsportart, da kann immer mal etwas passieren.

Zum Glück bleibt es bei solchen Stürzen im Bob meist bei Hautverbrennungen durch die hohe Reibung am Eis.

Um solche Verbrennungen bei Stürzen zu vermeiden, tragen viele Bobfahrer Kevlar-Unterwäsche unter ihren Rennanzügen. Das zeigt aber, dass man im Unterbewusstsein Schiss hat. Wir vier haben in Whistler demonstrativ darauf verzichtet – was von der Konkurrenz schon zur Kenntnis genommen wurde.

Was außer Ihren beiden Medaillen hat Ihnen bei den Olympischen Spielen in Kanada am meisten gefallen?

Diese Spiele waren meine bislang stressigsten, aber auch schönsten, denn wir haben erstmals die ganze Zeit in einem olympischen Dorf gewohnt und hatten so Kontakte mit vielen anderen Sportlern. Mit Biathleten, Langläufern und Skispringern beispielsweise. Mit den Skispringern Martin Schmitt und Michael Uhrmann waren wir mehrmals im Kraftraum. Die haben geguckt, was wir an den Gewichten schafften, und wir haben gestaunt, wie die aus dem Stand heraus über 1,60 Meter hohe Hürden sprangen.

Was macht für Sie das Bob-Anschieben eigentlich so spannend?

Ich muss beim Start nicht nur gut sprinten, sondern auch ein Zusatzgewicht vorwärts bringen und die Technik beim Einsteigen in den Bob perfekt beherrschen. Mich faszinieren die komplexen Anforderungen, die ich bewältigen muss, um Kraft und Schnelligkeit bestmöglich zu verbinden. Meine Beinmuskeln beispielsweise werden beim Krafttraining kürzer – beim Sprinttraining muss ich sie aber wieder lang und schnell machen. Dafür muss man die richtige Mischung finden, um in der Weltspitze ganz vorn dabei zu sein.

Sie gelten als bester Bob-Beschleuniger der Welt mit Ihren 1,96 Metern Körpergröße und über 115 Kilogramm Gewicht 

116,6 Kilo – damit war ich übrigens der schwerste Athlet der diesjährigen Olympischen Spiele. Das war gleich mein erster Titel, als ich in Whistler ankam.

Führen Sie Ihre Ausnahmestellung unter den Anschiebern auf Ihre Gardemaße zurück?

Nein, es gibt auch andere große, kräftige Anschieber. Meine besonderen Fähigkeiten habe ich, denke ich, meiner Mutter (Roswitha Berndt/d. Red.) zu verdanken. Meine Mutter war früher eine sehr gute Sprinterin und immer mein Vorbild. Ich wollte immer so gut werden wie sie, habe deshalb mit der Leichtathletik angefangen und mich beim Laufen regelrecht gequält, obwohl ich als Sprinter eigentlich zu kräftig war. 1998 war ich in meiner Altersklasse deutschlandweit bester Sprinter und viertbester Kugelstoßer, weshalb mir auch immer wieder geraten wurde, zum Zehnkampf oder Wurf zu gehen. Stattdessen bin ich in den Bob gewechselt, wo mir heute zugute kommt, dass ich mich damals trotz meines hohen Gewichts im Sprint so gequält habe.

Ihre 100-Meter-Bestzeit als Leichtathlet betrug 10,50 Sekunden – wie schnell sind Sie heute noch auf dieser Strecke?

Das kann ich nicht sagen, denn die laufen wir inzwischen nur noch handgestoppt. Meine Bestzeit über 55 Meter, die ich 2007 in Oberhof bergab lief und in diesem Winter einstellte, beträgt 4,48 Sekunden. Die sind dort auch Bahnrekord.

Welche Gewichte legen Sie im Training auf?

Bei Kniebeugen bis zu 250 Kilo, an der Beinpresse bis zu 500 Kilo. Bei der Frontkniebeuge, also mit dem Gewicht vor der Brust, steht meine Bestleistung bei 230 Kilo.

Auch die Wintersportler stehen mittlerweile unter dem Generalverdacht des Dopings, daher könnte mancher sagen: Das kann bei dem Kuske nicht alles mit rechten Dingen zugehen. Was antworten Sie solchen Skeptikern?

Dass meine Leistungen Resultat eines sehr aufwendigen Trainings mit bis zu drei Einheiten pro Tag sind. Ich stehe seit Jahren im Doping-Kontrollsystem, muss stündlich melden, wo ich gerade bin oder hin will, und kann jeden Tag rund um die Uhr kontrolliert werden. Alle zwei Wochen sind Doping-Kontrolleure unangemeldet bei mir, und es ist noch nie etwas beanstandet worden. Ich habe ein gutes Gewissen – und bin sehr vorsichtig. Wenn ich beispielsweise mal ein angefangenes Getränk ein paar Minuten nicht beaufsichtigt habe, schütte ich es weg, statt es weiter zu trinken.

Alkohol trinken Sie laut eigenem Bekunden gar nicht.

So gut wie gar nicht, höchstens mal ein Schlückchen Coctail zum Anstoßen. Ich kann unsere Erfolge auch ganz ohne Alkohol genießen. Ich hasse nämlich nichts mehr als Kopfschnerzen und Übelkeit, und Bier und Wein schmecken mir überhaupt nicht.

Sie sind seit 2002 bei drei Olympischen Spielen mit André Lange zu viermal Gold und einmal Silber gefahren. Lange hört nun auf – werden Sie ihn vermissen?

Natürlich, wir sind ja auch Freunde. Sportlich wird er mir sehr fehlen, aber er wird ja nicht aus der Welt sein, da er dem Bobsport als Trainer erhalten bleiben will.

Wessen Bob werden Sie künftig anschieben?

Das ist noch völlig offen und wird gerade diskutiert. Im Verband erfolgt derzeit eine neue Strukturplanung. Es wird überlegt, ob die Anschieber künftig komplett dem Verband untergeordnet und von ihm auf die Schlitten verteilt werden. Ich werde jetzt erstmal die nächsten Wochen abwarten.

Gab es schon Anfragen anderer Piloten?

Ja, selbst aus der Schweiz. Aber ich hatte bisher alles abgeblockt, weil ich erst nach Olympia bereit bin, darüber nachzudenken. Noch besteht ja das Team Lange, noch gab es keine offizielle Abschiedsfeier.

Wäre auch ein Bobteam Potsdam eine Option?

Definitiv. Es gibt bereits Gespräche mit dem Olympiastützpunkt Potsdam. Fest steht aber noch nichts.

Fahren Sie nun erst einmal in den Urlaub?

Jetzt habe ich erst noch ein paar Presse- und Sponsorentermine vor mir, dann werde ich sicher auch mal Urlaub machen, aber nur kurz. Im April beginnt schon wieder das Training für die nächste Saison, in der wir mit den Weltmeisterschaften in Königssee eine Heim-WM haben werden. Und die hat immer einen besonderen Reiz.

Ende Juli fliegen Sie aber nach Griechenland, um dort Ihre Verlobte Vassiliki, die ebenfalls in Potsdam lebt, zu heiraten.

Stimmt, die Vorbereitungen dazu laufen bereits. Diese Hochzeit wird für mich ein ganz privates Olympia.

Sie haben sich für Vassiliki 2007 extra griechisch-orthodox taufen lassen. Hilft Ihnen Ihr neuer Glaube beim Sport?

Der hilft bei allem, auch bei meinen Bobfahrten. Ich glaube sowieso an Gott, und deshalb fiel mir diese Taufe nicht schwer. Den Schritt habe ich ja nicht nur wegen Vasso gemacht. Es ist ein bisschen wie beim Bobfahren: Wenn man sich nicht traut, sollte man nicht die Bahn runterfahren. Und wenn man nicht an Gott glaubt, sollte man sich nicht taufen lassen.

Kommen wir noch einmal zu Ihrem Sport: Sie selbst wollen die nächsten vier Jahre bis zu den Olympischen Spielen 2014 in Sotschi weitermachen. Warum? Sie haben doch schon alles erreicht.

Ich fühle mich noch fit, habe noch Reserven und kann noch vier Jahre auf hohem Niveau mitfahren. Mein Ehrgeiz besteht zum einen darin, im Anschub in jedem Jahr der Beste zu sein. Und zum anderen könnte ich in der Liste der erfolgreichsten deutschen Wintersportler ja noch an Eisschnellläuferin Claudia Pechstein herankommen. Sie hat bei Olympia fünfmal Gold gewonnen, ich bisher viermal.

Die Olympiabahn in Sotschi soll noch schneller sein als die in Whistler

Sie war wohl für 160 Stundenkilometer geplant, da muss man sich jetzt etwas einfallen lassen. Vielleicht waren die vielen Stürze in Whistler ein Warnschuss zur rechten Zeit.

Das Interview führte Michael Meyer.

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