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SAMSTAGScocktail: Meine Tanzschuhe

Wieder einmal werde ich gefragt, woran ich gerade schreibe. Im selben Moment explodiert eine Isolierkanne mit heißem Kaffee (ich befinde mich auf einer Nachmittagsparty).

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Wieder einmal werde ich gefragt, woran ich gerade schreibe. Im selben Moment explodiert eine Isolierkanne mit heißem Kaffee (ich befinde mich auf einer Nachmittagsparty). Der Vorfall richtet in der Küche der Gastgeberin naturgemäß eine Verwüstung an, was mir Zeit gibt. Seitdem ich hier bin (siehe letzte Kolumne), habe ich überhaupt nicht geschrieben. Wenn ich gefragt werde, sage ich gemeinhin, ich befände mich in einer Phase des Materialstudiums. In Amerika sind ja alle immer sofort begeistert, wenn man auf die Frage, was man im Leben tue, antwortet, man sei Schriftsteller. Meistens sagt dann der Frager oder ein Mensch in der Nähe, er schreibe auch. Mindestens aber der Sohn oder die Tochter. Tatsächlich schreiben in Amerika alle. Eigenartig an derlei Gesprächen ist nur jedes Mal diese gewisse Ehrfurcht, wenn sich herausstellt, dass man das Geschriebene auch veröffentlicht. Mir persönlich fällt der Satz: „Ich bringe Bücher in einem Verlag heraus“ viel leichter als „Ich schreibe“. Bei der Einreise wurde ich vom Grenzbeamten nach meinem Beruf gefragt. Dann wollte er wissen, worum es in meinen Büchern gehe. Ich hatte zehn Stunden Flug hinter mir und ein Baby auf dem Arm. Ich erwähnte german, history, ich glaube, sogar love. Er fragte: Fiction then? Die Stimmung besserte sich merklich, eine Art Erleichterung machte sich breit. Eine harmlose Variante des Schreibens also, drollig und leicht verschroben. Was er mit einem: Cool! anerkannte. Vor ein paar Jahren musste ich mir ein Jahresvisum für Russland besorgen. Ich fuhr nach Berlin, wo mir in einer geheimnisvollen Wohnung zwei junge Männer die nötigen Stempel liefern sollten. Für ein Jahresvisum brauchte ich eine Berufsangabe, die das Ganze logisch klingen ließ. Ich sagte: Ich bin Autorin. Um Himmels Willen, sagte der eine der beiden jungen Männer. Womöglich noch Journalistin?! Wir redeten eine Weile über mein Leben und was sich daraus machen ließ. Schließlich einigten wir uns auf Varietékünstlerin. Weil die schweigen?, fragte ich. Vor allem schreiben sie nicht, sagte der andere der beiden jungen Männer. Aber nehmen Sie zur Sicherheit immer Ihre Tanzschuhe mit.

Die Autorin lebt in Potsdam und hält sich zur Zeit als writer in residence in Ohio auf. Zuletzt erschien ihr Roman „Selbstporträt mit Bonaparte“.

Julia Schoch

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