
© privat
Von Antje Horn-Conrad: Menschen brauchen Aufgaben, an denen sie wachsen
In Potsdam gründete sich eine Initiative für eine neue Lernkultur und lädt nun zu ihrer ersten Lernwerkstatt ein
Stand:
Es begann mit einer Bootstour. Menschen aus ganz unterschiedlichen Berufen haben sich drei Tage lang aufs Wasser begeben, um rudernd bei Wind und Wetter von- und miteinander zu lernen und gemeinsam darüber nachzudenken, wie Lernen auch jenseits von Schulangst, Frust und Langeweile möglich sein könnte. Entstanden ist daraus die Potsdamer „Initiative für eine neue Lernkultur“. Die Tänzerin und Choreografin Sabine Chwalisz aus der „fabrik“ ist dabei, aber auch Friedrich Reinsch, Geschäftsführer des Hauses der Generationen und Kulturen am Schlaatz, der Traumatherapeut Gunnar Schulz und ebenso der Fotograf Joachim W. Schiwy vom Diakonischen Werk.
Schiwy war es, der Kontakt zu dem renommierten Göttinger Hirnforscher Gerald Hüther aufnahm, fasziniert von dessen Ansichten, die er in einem Interview gelesen hatte. Von lebenslangem Lernen war da die Rede, bis ins hohe Alter. Von Aufgaben, an denen Menschen wachsen können und davon, dass das Gehirn nicht passiv auswendig lernen, sondern Probleme lösen will. In den Schulen und später im Beruf käme es deshalb darauf an, mit Wissen kreativ umzugehen, Dinge bewerten, planen und gestalten zu können. Wo aber, fragt Hüther, liegt für viele Kinder jenseits von Schulaufgaben und Hausarbeit eine Herausforderung, die so ist wie ein Berg, den man besteigen muss und auf dessen Gipfel man Stolz und Glück empfindet?
Antwort darauf gibt er bei einer Lernwerkstatt am 29. September im Haus der Generationen und Kulturen, zu der die Gemeinwesenakademie und der Verein Soziale Stadt Potsdam e.V. den Hirnforscher Gerald Hüther als Gastdozenten eingeladen hat. In seinem Vortrag wird Hüther nach verborgenen Potenzialen fragen und dazu neurobiologische Anmerkungen machen. Angesprochen sind Menschen jedes Alters, die daran interessiert sind, bislang brachliegende Talente zu nutzen, Begabungen zu fördern und eigene Potenziale besser auszuschöpfen. „Wir sind offen für alle, die Lernen als einen lebenslangen Prozess begreifen“, so Schiwy ganz ohne missionarischen Eifer. „Es geht uns darum, selbst zu lernen und nicht andere zu belehren.“
Friedrich Reinsch, der die Initiative von Beginn an unterstützt, freut sich über diese Kooperation mit der Gemeinwesenakademie und dem von ihm geleiteten Haus der Generationen und Kulturen, das schon seit drei Jahren erfolgreich nach den Prinzipien Hüthers arbeitet. Für Reinsch steht dabei der Beziehungsgedanke im Vordergrund, dass Menschen immer wieder neu in Kontakt zueinander treten und voneinander lernen können.
Bevor aber Gerald Hüther am Nachmittag der Lernwerkstatt seinen Vortrag am Schlaatz hält, wird denen, die tiefer in das Thema einsteigen wollen, vormittags in der Potsdamer „fabrik“ Gelegenheit zur Einstimmung geboten. Mit Bewegung, Klang und Fotografien aus der eigenen Kindheit soll die Erinnerung an das Lernen, an die Schulzeit und an die Begrenzungen, die es möglicherweise gab, wachgerufen werden. Wo sind Talente gefördert und wo verschüttet worden. Wie wurde Lernfreude geweckt und wodurch kam Motivation abhanden? „Lernen ist stets mit einer tiefgehenden emotionalen Erfahrung verbunden“, sagt Joachim W. Schiwy.
Schiwy selbst hat zwei Töchter, die vor dem Abitur stehen. Er kennt den Stress, der aus komprimierten Stoffinhalten, Notendruck und Versagensangst heraus entsteht. Auch diese Erfahrungen seiner Kinder haben ihn dazu bewogen, sich eingehender mit den Methoden des Lernens zu beschäftigen. Er hofft nun, mit der Lernwerkstatt weitere Menschen ins Boot zu holen. „Wir wollen ein Klima gegenseitiger Wertschätzung schaffen und zum Fragen ermutigen.“ Nicht durch großartige Programme, sondern durch den Austausch von Erfahrungen und konkretes Vorleben soll sich, so Schiwy, Schritt für Schritt eine neue Lernkultur verbreiten.
Vortrag im Haus der Generationen und Kulturen, Milanhorst 9, Di 29.9., 14 Uhr
Antje Horn-Conrad
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: