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Landeshauptstadt: Menuhins MUS-E bald in Potsdam? Was Künstler an Schulen bewegen können

Wie eine lange Morgendämmerung ist die Kindheit, wenn es gelingt, das angeborene Gespür für kommende Möglichkeiten lebendig zu halten, fand Yehudi Menuhin. Ihm selbst, dem Geigenvirtuosen und Menschenfreund, ist dieses Gespür zeitlebens nicht abhanden gekommen.

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Wie eine lange Morgendämmerung ist die Kindheit, wenn es gelingt, das angeborene Gespür für kommende Möglichkeiten lebendig zu halten, fand Yehudi Menuhin. Ihm selbst, dem Geigenvirtuosen und Menschenfreund, ist dieses Gespür zeitlebens nicht abhanden gekommen. Trotz Krieg und Holocaust. Menuhin war der erste jüdische Künstler, der im Nachkriegsdeutschland konzertierte. Ein Akt der Versöhnung und der Hoffnung. „Wenn wir die Welt verändern wollen, müssen wir bei den Kindern anfangen“, wusste er. Und die Musik, die Künste überhaupt, schienen ihm hierfür die geeignete Sprache zu sein. So gründete er 1992 die Initiative „Music for Schools in Europe“, die unter dem sinnreichen Kürzel MUS-E inzwischen auch in Deutschland Bewegung in die ästhetische Bildung an Schulen und Kindergärten gebracht hat.

In Potsdam, wo ähnliche Projekte, wie Royston Maldooms Tanzinszenierungen mit Schülern, bereits erfolgreich über die Bühne gingen, stellte Winfried Kneip, Geschäftsführer der Yehudi Menuhin Stiftung Deutschland, jetzt das MUS-E-Programm vor. An der Fachhochschule sprach er vor angehenden Erziehern über Projekte in sozial benachteiligten Stadtteilen, in denen viele Kinder mit Migrationshintergrund leben. Wo verschiedene Kulturen die Verständigung erschweren, soll die universelle Sprache der Künste helfen. MUS-E gelingt das, weil hier Musik, Theater und Malerei nicht abstrakt vermittelt, sondern konkret angeeignet werden: Freischaffende Künstler gehen über einen längeren Zeitraum für zwei Stunden in der Woche direkt in den Unterricht, musizieren, tanzen, spielen, malen, singen mit den Schülern und lassen Kunstwerke entstehen. Das kann eine Skulptur aus Alltagsmaterial sein, eine Modenschau futuristischer Kostüme, ein Theaterstück mit selbstgebauten Kulissen oder eine dreisprachige Märchenoper, wie sie die Komponistin Chris Seidler derzeit in Essen und Gelsenkirchen einstudiert.

MUS-E lebt von der Kraft und Kreativität der Künstler, ihrer Authentizität und Begeisterungsfähigkeit, die die Kinder spüren und der sie vertrauen. Künstler und Kinder erkennen sich in der Art, wie sie ihre im Gedächtnis abgespeicherten Bilder neu kombinieren – also in ihrer Fähigkeit zur Phantasie. Oft liegt eine dicke Schicht von Medienbildern darüber. Gelingt es aber, diese passiv erworbenen Erfahrungen umzuwandeln in Aktivität und dabei einen schöpferischen Prozess einzuleiten, dann können die Kinder selbst etwas Kunstvolles erschaffen. Für viele ist das ein völlig neues Gefühl.

Um es zu verstetigen, strebt MUS-E im Unterschied zu manch anderen Künstler-Schul-Projekten Nachhaltigkeit an. Die MUS-E-Stunden ersetzen nicht den Kunst- und Musikunterricht, sondern werden zusätzlich und gemeinsam mit dem Klassenlehrer organisiert. So hat der Lehrer die Chance, seine Schüler in einer ungewohnten Lernsituation zu sehen und dabei bislang unbemerkte Fähigkeiten zu entdecken. Nicht selten wird beobachtet, dass zapplige Jungen plötzlich still in ihre Arbeit versunken sind und verschlossene Kinder beginnen, sich zu öffnen.

Auch die Pädagogen lassen sich von den Künstlern inspirieren, entwickeln eigene Ideen, die sie in den Schulalltag integrieren. So wandelt sich der Lehrer allmählich vom Beobachter zum Akteur und der Künstler vom Akteur zum Coach.

Finanziert wird MUS-E über Spenden und öffentliche Fördermittel, die Winfried Kneip jetzt auch vom Brandenburgischen Bildungsministerium in Aussicht gestellt bekam. Zudem bekundete die Potsdamer Fachhochschule Interesse an einem Modellprojekt zur ästhetischen Erziehung in Kindergärten. Menuhins MUS-E könnte also bald auch in Potsdam und Umgebung Einzug halten. Antje Horn-Conrad

Weitere Informationen

www.ymsd.de

Antje Horn-Conrad

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