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Internationalisierung. In Berlin wurde die Vielfalt erst relativ spät sichtbar.

© dpa

PNN-Serie: Die Stadt der Zukunft: Migranten bringen die Städte zum Tanzen

Die Stadt der Zukunft wird weniger auf Sesshaftigkeit ausgerichtet sein als heute. Ihre Zukunft wird sich daran festmachen, wie geschickt sie mit Migration und Mobilität umzugehen weiß.

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Zum Wissenschaftsjahr 2015 zur „Zukunftsstadt“ schreiben Forscher des Leibniz-Instituts für Regionalentwicklung und Strukturplanung (IRS) in den PNN über ihre Projekte.

Vieles, was uns heute in der Regulierung von Migration und Mobilität „neu“ vorkommt, wurde in der Geschichte vielfach erprobt. Kontrolle war eine Haupttriebfeder städtischen Handelns, aber auch die Nutzung der Migration zur Regenerierung der Städte. Einige Beispiele zeigen, wie sehr die Beweglichkeit zur „Essenz“ des Urbanen gehört und Städte sich darüber neu definieren. Die Zukunft der Städte wird sich daran festmachen, wie geschickt diese mit Migration und Mobilität umzugehen wissen.

Bekannt ist die Geschichte der Hugenotten: Angeworben in einer Umbruchzeit, nach vielen Kriegsjahren und Bevölkerungsverlusten durch die Pest, wollten die Landesfürsten durch neue Gewerbepolitiken eine ökonomische Wiederbelebung ihrer Territorien erreichen. Das Edikt von Potsdam (1685) sicherte den Hugenotten beträchtliche Privilegien: Glaubensfreiheit, die Ausübung des Kultus in französischer Sprache durch eigene Prediger, ein in Teilen unabhängiges Rechtssystem, zeitweilige Steuerbefreiung, kostenlose Mitgliedschaft in den Zünften, eine Anschubfinanzierung für gewerbliche Existenzgründungen, Grundstücke und Baumaterial. Hugenottenstädte wurden angelegt, Stadterweiterungen durchgeführt, verfallene Häuser zur Ansiedlung genutzt. Man grub neue Kanäle zur Umschiffung von Stapelrechten. Zur Finanzierung der Ansiedlungen und Einwanderungswellen schrieb man Kollekten aus – die Begleitkonflikte milderten die Städte durch die Anlage von Kolonien ab. Das Refugium bot den Zuwandernden schnelle Aufstiegschancen, das band sie an den Ort. Die Region profitierte vom importierten Fachwissen und den tatendurstigen Einwanderern.

Die zweite große Zäsur, die die Regenerierung Berlins befeuerte, war die Industrialisierung. Die Stadt Berlin mit ihren Fabriken wuchs so schnell, dass die Infrastruktur nicht mitkam. Die „Lösung“ zur Modernisierung der Städte damals waren der Aufbau eines öffentlichen Nahverkehrs, die Bekämpfung der sozialen Verelendung durch Wohlfahrtsverbände und die Durchsetzung hygienischer Standards im Wohnungsbau. Plätze und Gärten zur Regenerierung der Bevölkerung entstanden. Beweglichkeit wurde gebaut.

In der Weimarer Republik waren es dann die zahlreichen jüdischen Einwanderer aus Osteuropa, die Berlin zu einem Zentrum jüdischer Kultur und damit multikulturell und interessant machten. Berlin als großes Migrationszentrum mutierte zu einer der lebendigsten Metropolen Europas. Nazidiktatur und Zweiter Weltkrieg setzten dem ein Ende: Berlin verlor seine klügsten Köpfe, übrig blieb eine homogen deutsche, geistig fade Stadtgesellschaft, die sich Zwangsarbeiter hielt, die komplett aus dem städtischen Leben ausgeblendet waren.

Nach dem Krieg wurde Berlin autogerecht und nach Funktionen gegliedert wiederaufgebaut. Viele Flüchtlinge und Kriegsheimkehrer mussten untergebracht werden. Die seit Anfang der 1960er-Jahre angeworbenen Gastarbeiter blieben in der Stadtlandschaft, abgesehen von einigen italienischen Eisdielen oder griechischen Lokalen, marginal. In den späten 1980ern waren Tausende Russlanddeutsche so gut wie unsichtbar für die Mehrheitsgesellschaft in den Städten. Im durch die Mauer vom Rest der Stadt isolierten Kreuzberg lebten überdurchschnittlich viele Migranten in unsanierten Altbauten, die dann, vor der Kahlschlagsanierung bewahrt, Experimentierfelder für behutsame Stadterneuerung wurden.

Die Deindustrialisierung seit den 1980er-Jahren trieb die sozialräumliche Spaltung der Städte voran, unter den von der neuen Arbeitswelt Ausgegrenzten waren sehr viele Migranten. Die wurden jetzt im Stadtbild unübersehbar: mit kleinen Läden, aber auch mit bunten Paraden wie dem Karneval der Kulturen oder durch Moscheen. Berlin holte etwas nach, was von Minderheiten geprägte Städte wie London und Amsterdam längst hatten: eine Internationalisierung, die einerseits auf der im Land lebenden migrantischen Bevölkerung fußte und andererseits durch das Einklinken in globale Kreisläufe in die Städte erfolgte. Anders als Waren und Kapital lässt sich die Mobilität von Menschen weniger kontrollieren, Menschen widersprechen, nutzen Handlungsspielräume, laufen Träumen vom besseren Leben hinterher. Heute geht in Berlin die Mehrzahl der Gewerbeanmeldungen auf Migranten zurück (59 Prozent Ausländeranteil in 2014, 2005: 42 Prozent; in Brandenburg sind es 43 Prozent, 2005: 21,4 Prozent). Migranten sind im Zentrum von Urbanität, städtischer Lebensweise. Sie erneuern die Gesellschaft, sie bringen die Mehrheit ins Tanzen.

Die Städte der Zukunft müssen sich auf kurzfristigere Mobilitäten einstellen: Berlin mit seinen Ferienwohnungen, Touristen und Pendelexistenzen zeigt, wie robust das städtische Gewebe jetzt ist. Jene, die lediglich eine temporäre Wohnfunktion nachfragen, sind an einer sozialen Einbindung oder an nachbarschaftlichem Engagement nicht interessiert, sondern suchen nur gezielte Dienstleistungen.

Diese Transformation passiert aktuell im semi-öffentlichen Raum, der von vielen Touristen besucht wird – wo zum Leidwesen der langansässigen Stadtbewohner das Quartier zum Konsumraum schrumpft. Wo es besonders urban ist, streben auch hochmobile und global orientierte Mittelschichten in die Quartiere. Ähnlich wie bei den in Hostels untergebrachten Flüchtlingen darf man auf ihre Einmischung in das Stadtleben erst dann hoffen, wenn sie sich zum Bleiben entschließen konnten. Migration und Mobilität bilden den Kern des städtischen Lebens, weil sie die Chance auf Regenerierung der gesamten Stadt in sich tragen – weil sie von allen Anstrengungen zur Überwindung von Krisen durch langfristige Bindungsangebote verlangen.

Felicitas Hillmann ist Leiterin der Abteilung „Regenerierung von Städten“ am IRS in Erkner und Professorin für urbane Transformationen im internationalen Kontext an der Technischen Universität Berlin. Ihre Forschungen fokussieren sich unter anderem auf die Themen Migration und Stadtentwicklung.

Felicitas Hillmann

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