Sport: „Mit Betrug bist du vorn dabei“
Doping ist nicht mehr nur ein Problem im Sport. Ein Gespräch mit Ines Geipel, die am Dienstag ihr Buch „No Limit. Wie viel Doping verträgt die Gesellschaft“ in Potsdam vorstellt.
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Frau Geipel, vor wenigen Tagen wurde bekannt, dass ausgerechnet der Profiradsportler Ivan Basso, der derzeit wegen Dopings zwei Jahre gesperrt ist, nach Ablauf dieser Sperre Aushängeschild einer Anti-Doping-Kampagne des Internationalen Radsportverbands werden soll. Überraschen Sie solche Nachrichten noch?
Eher weniger. Es ist das leidliche Spiel. Dopersysteme und Antidopersysteme tarieren sich ständig neu aus. Am Grundproblem ändert das nichts.
Was ist das Grundproblem?
Die Selbstzerstörung von Gesellschaft mittels Betrug und Vergiftung.
In Ihrem Buch „No Limit. Wie viel Doping verträgt die Gesellschaft“ zeichnen Sie ein recht düsteres Bild. Es ist ja nicht allein der Profisport, der davon betroffen ist.
Das Buch erzählt von der Intensivosmose zwischen Gesellschaft und Sport in Sachen Allmachtsphantasien. Wir wollen die Größten sein, in Tat und Wahrheit gehen wir uns immer mehr verloren.
Sie beschreiben an einem Beispiel, wie verbreitet Doping vor allem bei Freizeitsportlern in der Bodybuilder-Szene ist. Trotz Nebenwirkungen wie Organerkrankungen an Leber und Herz, sich zurückbildende Geschlechtsmerkmale, Suchterkrankungen, Gewebeveränderungen, die zu Krebs führen, bis hin zu Todesfällen wird immer mehr Chemie in den eigenen Körper gepumpt. Wie erklären Sie sich diesen Optimierungswahn?
Mit einer Gesellschaft unter Druck. Um den auszugleichen, ist so ziemlich jedes Mittel legitim. Betrug als eine Art Gesellschaftsspiel, siehe Basso, Siemens, von mir aus auch Putin. Mit Betrug bist du schlichtweg vorn dabei, er macht dich schnell.
Studenten nehmen bei Überforderung Inderal, für gestresste Mütter gibt es „mothers little helper“, für Manager die sogenannte Glücksdroge Prozac, für Herren mit Potenzproblemen Viagra, und Kinder werden mit Ritalin ruhig gestellt. Ist Doping nicht schon längst in unserer Gesellschaft etabliert?
Die Zahlen im Hinblick auf die Chemisierung unserer Gesellschaft sind absolut alarmierend. Ärzte werden nicht mehr aufgesucht, damit sie heilen, sondern immer häufiger, um die Gesunden noch fitter zu machen. Es geht um Lifestyle und sogenanntes Enhancement. Über kurz oder lang wird sich eine Gesellschaft jedoch darüber verständigen müssen, mit was für einem Körper sie eigentlich leben will, wie viel Veränderung sie an ihm gut heißen kann. In Zeiten von Gendoping ist das in meinen Augen ein hochpolitisches Thema und hat die Brisanz ähnlich dem des Umweltschutzes.
Auf der einen Seiten lassen wir uns mitreißen, von neuen Höchstleistungen im Sport, auf der anderen geben wir uns erschüttert und empört, wenn mal wieder einer dieser Spitzensportler des Dopings überführt wurde. Doppelmoral oder sind wir wirklich so naiv, noch an einen sauberen Sport zu glauben?
Wenn Sie auf 13- oder 14-jährige treffen, die einfach ihren Sport machen wollen, finden Sie jede Menge Begeisterung und Illusion. Das wird niemand und nichts zerstören können. Doch mit dem Kommerz kommt auch der Betrug – offenbar eine Art Systemzwang. Ich habe keine Lust auf die Skandalisierung einzelner Sportler und auch keine auf das ewige Mahngefussel. Ich wundere mich höchstens über die sauberen Athleten, die in diesem toten System noch mitmachen.
Wo liegt das eigentliche Problem? Sind es die Sportler, die immer besser sein wollen oder ist es das Publikum, das nach immer neuen Rekorden giert?
Vor ein paar Tagen fragte mich ein Mann in einer Veranstaltung: „Was haben Sie denn immer mit dem Doping-Kram? Wenn ich schon ins Stadion gehe, will ich doch genau das sehen: Wie sich jemand die Spitze setzt und dann tot umfällt. Das ist das, wofür ich bezahle.“ Ich hab keine Ahnung, bei wem das Problem drängender ist. Ich weiß nur, dass wir eins haben.
Können wir heute noch ernsthaft einem Sportler glauben, der gerade einen neuen Weltrekord aufgestellt hat, dass er das allein nur mit hartem Training erreicht hat?
Ich fürchte nicht.
Die olympischen Spiele in China sollen laut der chinesischen Führung „die saubersten Spiele werden, die die Welt je gesehen hat“. Wenn man weiß, dass China das Land mit der höchsten Produktion an den in der Doping-Szene so beliebten Wachstumspräparaten ist, muss das doch wie der reinste Hohn klingen.
Die chinesische Führung hat einen Faible für Symbolpolitik. Auf der Verlautbarungsseite ist alles clean, aber im Hintergrund gibt es enorm viel Gift. Das OIC – das Internationale Olympische Komitee – und die internationale Antidoping- Agentur WADA nicken das dankbar ab, denn die Chinesen haben viel Technik hingestellt. Das Pekinger Olympialabor ist natürlich das größte und modernste der Welt. Ja, natürlich ist dieses Kulissenspiel der reinste Hohn. Die Frage ist: Wer schützt bei all dem die chinesischen Athleten?
Sie selbst sind unfreiwillig Dopingopfer geworden. Sie waren in der DDR-Leichtathletik-Nationalmannschaft, haben wie mehr als 12 000 andere Sportler auch als Vitamintabletten ausgegebene Dopingpräparate zu sich nehmen müssen. Viele dieser Sportler leiden noch heute unter schweren Nachwirkungen. Haben auch Sie solche Erfahrungen machen müssen?
Das Schadensvolumen des DDR-Sports ist immens und noch immer nicht aufgearbeitet. Das alte, belastete System konnte sich gut vernetzt, mithilfe des Westens und dicker Renten in aller Ruhe restaurieren. Die Geschädigten haben es da schwer. Das sind oft sehr traurige Geschichten. Ich war während und vor allem nach dem Sport sehr krank, hatte aber das Glück, mich öffentlich auseinandersetzen zu müssen. Das hat mich wieder ins Lot gebracht.
Sie waren im Jahr 2000 Nebenklägerin im Prozess um Staatsdoping in der DDR. Der ehemalige Sportchef Manfred Ewald erhielt wegen Beihilfe zur Körperverletzung in mehr als 120 Fällen nur eine Bewährungsstrafe. Eine recht milde Strafe für das, was den Sportlern angetan wurde.
Es ging in dem Prozess nicht um Emotionen, sondern darum, dass am Ende etwas als Unrecht festgestellt wurde, was tatsächlich Unrecht war. Der Bundesgerichtshof hat letzthin die DDR-Dopingvergehen für mittelschwere Kriminalität befunden und für vorsätzliche Körperverletzung. Ewald hat all die Monate den Taubstummen gespielt, eine Art Marionette, die dem Gefängnis entgehen wollte. Es ist ihm gelungen, aber es war trostlos, das anzusehen.
Frau Geipel, mal ganz ehrlich, wollen wir überhaupt noch einen sauberen Sport sehen?
Alle, die den Sport lieben, wollen ihn auch sauber. Außerdem wissen wir, dass es mit dem vielen Betrug nicht so weiter gehen kann. Und nach dem Satz heißt es: Hoffentlich geht es so weiter. Denn wie es anders weiter gehen könnte, wollen wir nicht konsequent wissen. Das würde ja etwas bedeuten. Aus dieser Pattsituation müssen wir raus, denn den Preis für all den Betrug kann schon lange niemand mehr zahlen.
Das Gespräch führte Dirk Becker
Ines Geipel stellt ihr Buch „No Limit. Wie viel Doping verträgt die Gesellschaft“ am kommenden Dienstag, dem 20. Mai, um 20 Uhr in der Villa Quandt, Große Weinmeisterstraße 46/47 vor. Der Eintritt kostet 7, ermäßigt 5 Euro. Vorbestellungen telefonisch unter (0331) 280 04 52 oder (0331) 280 41 03.
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