
© Andreas Klaer
Lepsiushaus in Potsdam: „Mit Blessuren durchs Leben“
Seit Dienstag erinnert die Marmorstele „Zivilcourage“ des Bildhauers Roland Stelter vor dem Lepsiushaus an das Engagement seines Ex- Bewohners für Armenier
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Nauener Vorstadt - Wie ein mahnender Zeigefinger reckt sich die übermannsgroße Stele vor dem Lepsiushaus in die Höhe. Der weiße Marmorstein offenbart, teils glattgeschliffen, teils durch Hammer und Sichel schraffiert und wie geschuppt, einen „gebrochenen Charakter“. Zur Erinnerung an den evangelischen Theologen und Menschenrechtler Johannes Lepsius hat ihn der Bildhauer Roland Stelter eigens im italienischen Carrara ausgesucht, bearbeitet und dem Lepsiushaus Potsdam geschenkt. Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) sprach bei der Enthüllung der Stele von einem besonderen Ereignis, am authentischen Arbeits- und Wohnort von Lepsius dessen „Wirken und Zivilcourage zu ehren“.
Lepsius (1858 bis 1926) hatte die Massaker an den Armeniern Ende des 19. Jahrhunderts und während des Ersten Weltkriegs dokumentiert und bereits 1896 das Armenische Hilfswerk gegründet, mit dem er Waisen und Flüchtlinge unterstützte. Der Völkermord des türkischen Staates an den Armeniern vor 100 Jahren „ist ein wichtiger Teil unserer kollektiven Erinnerung“ und – wie sich im aktuellen Gedenken zeige – nach wie vor „politisch brisant“, sagte Jakobs. Damit bezog er sich auf Bundespräsident Joachim Gauck, der im Berliner Dom nicht nur von einem Völkermord, sondern auch von einer „Mitverantwortung, unter Umständen sogar Mitschuld“ der Deutschen gesprochen hatte. Dagegen bezeichnete der Autor und bildende Künstler Roland Stelter seine Motivation, sich bildhauerisch mit Lepsius auseinanderzusetzen, als „nicht politisch in einem direkten Sinne“, sondern als „ebenso rational wie gefühlsmäßig“. Seine eigene Biografie sei zwar politisch durch Kalten Krieg und Mauerbau geprägt. Doch bei der Gestaltung des Steines sei er intuitiv vorgegangen.
„Als Schutzengel der Armenier“ würde der Orientalist und Theologe Johannes Lepsius in Armenien bezeichnet, erzählt Ashot Smbatyan, Botschaftsrat an der Botschaft der Armenischen Republik. „Für die Armenier ist 2015 ein unvergessliches Jahr.“ Nicht nur weil das Datum des Massakers an schätzungsweise mehr als 1,5 Millionen Menschen sich zum 100. Mal jährt, sondern weil dieses endlich als das benannt werde, was es war: „Völkermord. Bundespräsident Joachim Gauck hat am 23. April die richtigen Worte dafür gefunden, wofür wir ihm sehr dankbar sind.“
Im Lepsiushaus wohnte und arbeitete Johannes Lepsius von 1908 bis zu seinem Tod 1926 mit seiner Frau und den zwölf Kindern. Wer sich hier in den ersten Stock ins Archiv begibt, kann – mit Schutzhandschuhen versehen – die wesentlichen Schriften des kritischen und mutigen Wissenschaftlers begutachten: 1997 dokumentierte er in dem mit Tinte beschrifteten Bändlein „Armenien und Europa“ die Ermordung von weit über 100 000 Menschen. „Es war das bedeutendste Werk zu diesem Thema in Europa – in einer Zeit, in der im Deutschen Reich anti-armenische Stimmungen vorherrschten“, erzählt Rolf Hosfeld, wissenschaftlicher Leiter des Instituts. Als Lepsius mitten im Krieg nach Istanbul reiste und 1916 gegen den Widerstand der Reichsregierung seinen „Bericht über die Lage des Armenischen Volkes in der Türkei“ verfasste, reagierte die Militärzensur mit einem Verbot. Kurzerhand veröffentlichte Lepsius selber 20 500 Exemplare, musste aber aufgrund eines Publikationsverbotes bis zum Kriegsende ins holländische Exil. „Für einen Vater von zwölf Kindern war das eine existenziell extrem riskante Situation“, betont Hosfeld. „Ich finde die Stele von Roland Stelter deshalb so beeindruckend, weil sie zeigt, dass es keinem Menschen – bei aller Geradlinigkeit – gelingt, ohne Blessuren durchs Leben zu gehen.“ Lepsius habe sich gezwungen gesehen, seine nationale und christlich-missionarische Haltung zugunsten ethischer Maßstäbe aufzugeben.
Seine wissenschaftlichen Hinterlassenschaften sind bis heute aktuell. In den vergangenen 20 Jahren hat die Forschung viele Details zusammengetragen über die Vorgeschichte des Genozids, die ihm zugrundeliegende Ideologie und Machtstruktur sowie seine Organisation. So trug der Fund privater Aufzeichnungen von Tätern dazu bei, die Ereignisse an einzelnen Orten zu rekonstruieren. Hosfeld selbst hat kürzlich die Abhandlung „Tod in der Wüste. Der Völkermord an den Armeniern“ veröffentlicht, die erste Gesamtdarstellung in deutscher Sprache, die sich ausgerechnet auf viele deutsche Quellen stützt. Im verbündeten Osmanischen Reich hätten viele Deutsche unterschiedliche Funktionen bekleidet und eine „Kultur der Berichterstattung“ gepflegt. Im Klartext: Die Deutschen sahen Gräueltaten wie riesige Leichenberge und schrieben plastisch darüber. Auch im Deutschen Reich wussten damals viele Menschen Bescheid. „In kirchlichen Kreisen war das bekannt“, sagt Hosfeld, „und in Regierungskreisen ohnehin.“ Seit 2011 beherbergt das Lepsiushaus, das vom gleichnamigen Förderverein getragen wird und der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten gehört, eine europaweit einmalige Forschungs- und Gedenkstätte, die sich auch der Gewaltgeschichte des 20. Jahrhunderts und dem Blick nach vorn verschrieben hat. Ziel sei, den „Absturz der Zivilisation in solche Ereignisse hinein“ zu zeigen, sagt Geschäftsführer Ulrich Rosenau: „Und wie es dazu kommen kann, dass die zivilisatorische Grundlage wegbricht.“
Isabel Fannrich-Lautenschläger
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