Sport: Mit chinesischen Booten gegen China
Die Skullerinnen um Bundestrainerin Jutta Lau wollen bei den WM in München mit dem Vierer Gold und auch mit dem Zweier Edelmetall
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Harte Zeiten für Stephanie Schiller: In den vergangenen Tagen und Wochen zog die 21-jährige Ruderin täglich in mehreren Trainingseinheiten die Skulls durchs Wasser, um mit dem deutschen Doppelvierer der Frauen bei den am Wochenende beginnenden Weltmeisterschaften in München erfolgreich sein zu können. In den Abendstunden hieß es dann büffeln, um auch das Studium der Betriebswirtschaftslehre an der Potsdamer Uni ordentlich über die Bühne zu bekommen. Schließlich muss Schiller heute ab 8.30 Uhr noch zwei schriftliche Prüfungen in den Fächern „Finanzierung“ und „Investition“ meistern, ehe sie sich voll und ganz der Rekord-WM in Bayerns Metropole – 1240 Athleten aus 68 Nationen starten in 474 Booten – widmen kann. „Es ist momentan schwer, sich auf die Prüfungen zu konzentrieren, aber da muss ich jetzt an Ende des Grundstudiums durch. Ich will das packen“, meint die ehrgeizige Schlagfrau des Doppelvierers, die gestern Nachmittag vom letzten Trainingscamp in Brielow am Beetzsee heim nach Marquardt fuhr. Heute geht es nach den Prüfungen zur letzten Übungseinheit auf den Beetzsee, ehe es in den Nachmittagsstunden an die Isar geht.
In München-Oberschleißheim will Stephanie Schiller gemeinsam mit Vereinskameradin Kathrin Boron, der Berlinerin Britta Oppelt und der Magdeburgerin Manuela Lutze eine andere große Aufgabe packen: Nach dem Olympiasieg 2004 in Athen hat das Flagschiff der deutschen Skullerinnen keinen internationalen Titel mehr gewonnen – das soll sich nun ändern. „Unser Ziel ist die Goldmedaille“, erklärt die Schlagfrau, die bei den letzten beiden WM im japanischen Gifu Silber und im englischen Eton Bronze gewann. „Wir haben viel probiert und trainiert und denken, dass wir auf dem richtigen Weg sind.“ Bekräftigt wird sie in ihrer Auffassung von Kathrin Boron, mit vier Olympiasiegen und acht WM-Titeln erfolgreichste Skullerin der Welt, die in diesem Jahr ihr drittes Comeback feiert und nach Peking 2008 die Ruder endgültig in die Ecke stellen will. „Wir haben das ganze Jahr darauf hin gearbeitet, jetzt ganz vorn anzukommen. Gold ist das große Ziel, aber dazu muss alles passen.“ Dass der Vierer in seiner jetzigen Besetzung auf der Münchner Regattastrecke erstmals von der internationalen Konkurrenz auf Herz und Nieren geprüft wird, schmälert den Optimismus der 37-Jährigen nicht. „Die gleiche Situation hatten wir 2004 bei Olympia auch, da sind wir in Athen auch erstmals zusammen angetreten – und haben gewonnen.“
Skull-Bundestrainerin Jutta Lau hat lange überlegt und getestet, ehe sie sich für das jetzige Quartett entschied. „Vor dem Weltcup-Finale in Luzern hatte ich das schon im Kopf“, erzählt die Potsdamerin. „Ich dachte aber, mit meiner zweiten Variante weiter vorn landen zu können, was bekanntlich nicht gelang.“ Mit der Berlinerin Susanne Schmidt – die Deutschland nun im Einer vertreten wird – statt Britta Oppelt hinter Schiller wurde Deutschland Zweiter, und Lau griff im Höhentrainingslager St. Moritz auf ihr ursprüngliches Konzept zurück. „Wir haben dort nochmal probiert, ob Susanne Schmidt oder Manuela Lutze besser ins Boot passen, ehe sowohl die Mannschaft als auch ich entschied, dass es mit Manu besser klappt.“ Fortan wurde gemeinsam Kondition getankt und an der Technik gefeilt. „Wir sind zusammen 600 bis 700 Kilometer gerudert“, erinnert sich Kathrin Boron. Zuletzt abgeschieden auf dem Brandenburger Beetzsee, „weil wir uns hier in aller Ruhe vorbereiten können“, so Jutta Lau.
Die nicht nur personell, sondern auch materiell umdachte und ihre Skullerinnen erstmals in weißen chinesischen Mannschaftsbooten ins WM-Rennen schickt, während die Chinesinnen in München deutsche Boote rudern. „Mal sehen, welche Kombination besser klappt“, schmunzelt die Bundestrainerin, die den Deal während eines Wärme- und Höhentrainingscamps im März im chinesischen Dali einrührte. Dort wurde sie durch den Berlinern Bootskonstrukteur und Schiffsbauingenieur Klaus Filter – einst Direktor für Forschung und Entwicklung beim DDR- Ruderverband – mit der chinesischen Bootswerft „Flying Eagle Boat Company“ aus Fu Yang nahe Shanghais bekannt. „Das Boot fährt relativ gerade durchs Wasser, anders als die deutschen“, sagt nun Kathrin Boron, und Vereinskameradin Christiane Huth schwärmt: „Der Unterschied ist bemerkenswert. Das Boot liegt besser im Wasser und lässt sich besser rudern.“
Christiane Huth wird bei den WM mit Peggy Waleska vom Dresdner RC im Doppelzweier antreten. „Wir sind voller Optimismus“, erklärt die 26-jährige Marketing-Assistentin des Kongreß-Hotels Potsdam. „In unserem Boot steckt viel Potenzial. Wir sind im Training von Einheit zu Einheit weiter voran gekommen und stabiler geworden und kämpfen jetzt um eine Medaille. Wobei uns die goldene natürlich am liebsten wäre“ Auch Jutta Lau glaubt: „Das passt mit den beiden.“
Im Leichtgewichtsbereich ist Potsdam in diesem Jahr erstmals seit langem nicht vertreten, da Daniela Reimer die WM- Qualifikation nicht schaffte; nach Luzern war Schluss. „Für Dani beginnt jetzt schon ihre Olympiavorbereitung. Ich glaube, sie hat einen großen Erkenntnisprozess durchgemacht“, sagt Jutta Lau, die mit Jeannine Hennicke und Anna-Theresa Kluchert dafür zwei junge Potsdamerinnen als Ersatz für den Vierer mit nach München nimmt. „Natürlich ist das ein bisschen frustrierend, denn wir hatten mehr vor“, erklärte Kluchert, die bereits 2006 in Eton Ersatz war. „Schließlich hatten wir mehr vor“, bestätigte Hennicke, vor Jahresfrist WM-Dritte mit dem Doppelvierer. In drei Wochen sollen die beiden bei den Europameisterschaften in Poznan für Deutschland fahren.
WM-Hauptkonkurrentinnen des Doppelvierers um BWL-Studentin Stephanie Schiller dürften vor allem die Boote Chinas, Australiens und Englands sein. Bleibt abzuwarten, ob das Maskottchen der Lau- Skullerinnen – ein grüner Plüsch-Frosch – vom Ufer aus ein bisschen helfen kann.
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