zum Hauptinhalt

Von Guido Berg: Mit dem Gesicht zum Volke

Bürgernähe statt blickdichter Bauzäune: Impressionen vom „Tag der offenen Landtagsbaustelle“

Stand:

Innenstadt - Irgendwann am Nachmittag. Helmuth Markov genießt einen Augenblick des Alleinseins. Er atmet tief durch, ist erleichtert. Darauf angesprochen, sagt der brandenburgische Finanzminister, es sei gut gewesen, die Traube wartender Bürger auf dem Alten Markt zu sehen. Es hätte auch sein können, das aus Protest niemand zum „Tag der offenen Baustelle“ kommt, weil er die Grundsteinlegung für den neuen Landtag vergeigt hat. Weil er die Leute da vor dem Bauzaun stehen lassen hat. Ja, er müsse sich die Jacke anziehen, er habe die Verantwortung. Die Baufirma BAM habe ihm damals gesagt, aus Sicherheitsgründen dürfen nur 400 Leute auf die Baustelle. Da hätte er schon erwidern müssen, „wir verschieben die Grundsteinlegung und machen sie zusammen mit dem Tag der offenen Tür“. Der zweite Fehler: Er hätte am 16. Februar wenigstens zum Tor laufen und die 50 Wartenden hereinbitten sollen. Aber so richtig habe er das gar nicht mitbekommen, dass da Leute draußen stehen

Als Markov gestern zu den offenen Pforten bittet, gellen Rufe nach einer Entschuldigung. Zum Richtfest, verspricht der Minister, „wird das Volk selbstverständlich dabei sein“. Im Laufe des Tages wird bei vielen Potsdamern ein wenig vom grünen Gras der Besänftigung über die Wunde Grundsteinlegung wachsen. Doch am Anfang, bei seiner Eröffnungsrede, schwingt Potsdams Baubeigeordneter Matthias Klipp (Bündnisgrüne) noch mit Lust die scharfe Sense: Bürgerschaftliches Engagement sei wichtig, „auch um den Bauherren dabei auf die Finger zu schauen“. In Sachen Transparenz habe es beim Landtagsneubau Defizite gegeben, „die Rückwirkung haben auf den Bau selbst und auf dessen Akzeptanz“. Dass jetzt noch über das Dachmaterial – Zink oder Kupfer – diskutiert wird „Das hätte viel früher laufen können.“ Aber Rainer Speer habe niemanden in die Pläne schauen lassen.

Diese Bemerkung hätte Markov, Speers Nachfolger, sicher gern gehört. Er ist halt nicht an allem schuld. Der Finanzminister der Linken müht sich. Bürgernähe ist die Devise. Seit'' an Seit'' mit Thomas Weber, Technikchef der Baufirma Bam, geht Markov auf einen der sechs Info-Stände zu. Weber soll etwas erläutern, bedeutet Markov, aber beide stehen noch im Rücken der Leute. „Wem?“, fragt Weber. „Dann erzählen sie es mir“, erbarmt sich eine Journalistin.

Später ist Markov gelöster. Er bietet sich für Gespräche an. Wird gefragt. Antwortet ausführlich. Er wird nun ahnen, welch ein Ass ihm die linke Regierungsbeteiligung mit der Landtagsbaustelle gebracht hat – und auch, dass er es bisher viel zu schlecht ausgespielt hat. „Rot-rot führt in die Grube“, steht auf einem Plakat, mit dem eine Gruppe von Leuten gegen das SPD-Linke-Bündnis demonstriert.

An einem Stand erklärt Bam-Planungskoordinatorin Daniela Dünnemann, dass sie so etwas noch nie erlebt hat. Dass eine Baustelle ein derartiges Medieninteresse hervorruft. Sie habe überhaupt noch nie eine öffentliche Grundsteinlegung erlebt. „Da kennen Sie aber die Potsdamer schlecht“, erwidert eine ältere Dame.

Die Potsdamer sind aufmerksam: Da zeigt der Landtag an seinem Stand doch Grafiken des neuen Landtages, auf denen Architekt Peter Kulka noch die seitlichen Toreinfahrten eingezeichnet hat, über die schon das Knobelsdorffsche Originalstadtschloss verfügte. Dabei sind diese Toreinfahrten längst kassiert zugunsten von mehr Abgeordnetenbüros – und zuungunsten der Einfügung des Landtags in die Stadt, wie die Bürgerinitiative Mitteschön kritisiert. Standbetreuer Christian Lehmhaus muss immer wieder erklären, dass doch schließlich, für den Fall einer Länderfusion, die Abgeordneten von Berlin und Brandenburg in dem Haus Platz finden müssen. Immer wieder neue Potsdamer kommen und fragen. Die seitlichen Toreinfahrten, die werden auch nicht gebraucht. Gebraucht würden Büros. Plötzlich erlösend, wie aus dem Nichts, fragt ein Mann mittleren Alters, der gerade an den Infostand getreten ist, die richtige Frage. „Passen auch alle Abgeordneten beider Länder rein?“ Lehmhaus sieht den Mann an. Wird er veräppelt? Nein. Also: Mit dem Brustton der Überzeugung sagt Lehmhaus ein kurzes, aber glückliches „Ja!“.

Im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte ist der Eintritt kostenlos an diesem Tag. Viele Besucher nutzen das, sehen die Original-Minerva des Stadtschlosses, die den Bombenangriff überstand, weil sie im Depot stand. In einer Vitrine liegt ein Buch, das beweist, dass der Landtag nicht das erste Parlament im Stadtschloss sein wird. Am 10. September 1920 tagen die Stadtverordneten „im neuen Sitzungssaal des Stadtschlosses“, wird informiert. Tagesordnungspunkt 1: „Verabfolgung von Milch an die Kinder von Erwerbslosen.“ Klingt wie ein Antrag der Linken – aus heutigen Tagen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })