Landeshauptstadt: „Mit dem Leak-Gedanken hat das wenig zu tun“ Der Medienwissenschaftler Hans Kleinsteuber über die neue Internetplattform „PotsdamLeaks“
Herr Kleinsteuber, sie gelten als Befürworter von Enthüllungsplattformen wie „WikiLeaks“. Warum?
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Herr Kleinsteuber, sie gelten als Befürworter von Enthüllungsplattformen wie „WikiLeaks“. Warum?
Solche Seiten sind wichtig, gerade weil die Politik in Deutschland vergleichsweise intransparent arbeitet. Ausschuss-Sitzungen der Parlamente finden fast immer hinter verschlossenen Türen statt, das Informationsfreiheitsgesetz für die Bürger ist unzureichend. Daher ist es wichtig, dass belastendes Material an die Öffentlichkeit kommt und Informanten geschützt werden. Natürlich darf dies nicht die Rechte Dritter verletzen.
Neuerdings gibt es speziell für Potsdam eine neue Seite „PotsdamLeaks“
Zunächst einmal: Was ich unter „PotsdamLeaks“ gesehen habe, hat mit dem eigentlichen „Leaks“-Gedanken wenig zu tun. Denn bei „WikiLeaks“ oder „OpenLeaks“ sind die Betreiber der Seite bekannt. „PotsdamLeaks“ arbeitet dagegen anonym. Dazu kommt: Bei „Leaks“-Plattformen geht es um die Veröffentlichung interner Dokumente und nicht um Kommentierung von Politik. Genau das aber macht „PotsdamLeaks“, dort finden sich lokalpolitische Stellungnahmen mit vielen Behauptungen und Wertungen.
Können Sie das anonyme Auftreten, wie es bei „PotsdamLeaks“ praktiziert wird, auch aus juristischer Sicht einschätzen?
Ich bin zwar kein Medienrechtler. Aber bei den veröffentlichten Texten auf „PotsdamLeaks“ handelt es sich im Kern um journalistische Beiträge – wofür die Pressegesetze ein Impressum vorschreiben. Diese Bestimmung hat die Aufgabe, falls es zu Verstößen kommt – etwa jemand beleidigt oder verleumdet wird –, der Autor haftbar gemacht werden kann. Aber ein Impressum fehlt bei „PotsdamLeaks“.
„Leak“-Projekte sichern ihren Quellen absoluten Schutz zu, auch „PotsdamLeaks“ verspricht das: Ist so ein Schutz für Informanten wirklich zu erreichen?
Bei klassischen „Leaks“-Plattformen können Informationen anonym zugeliefert werden. Ob „PotsdamLeaks“ diesen Standard garantiert, vermag ich nicht zu beurteilen – zumindest werden aber Möglichkeiten angeboten, verdeckt Daten zu übermitteln. Zum Schutz von Informanten: Wir kennen das Schicksal des US–Soldaten Bradley Manning, der im Mai 2010 unter dem Verdacht verhaftet wurde, Hunderttausende von Dokumente aus den amerikanischen Außen- und Verteidigungsministerien kopiert und an „WikiLeaks“ weitergegeben zu haben. Er ist seitdem unter erschwerten Bedingungen inhaftiert, ihm wird Geheimnisverrat und mehr vorgeworfen, ihm drohen viele Jahre Haft. Damit dies nicht wieder passiert, ist es so wichtig, dass „Leaks“-Plattformen unbedingten Schutz garantieren können.
Wie ist es in Deutschland generell um „Leak“-Projekte bestellt?
Da ist noch relativ wenig los. Früher hat „WikiLeaks“ einmal den geheimen Vertrag zur Autobahnmaut ins Internet gestellt. Da konnte man sehen, wie sehr der Staat seinerzeit von den Vertragsunternehmen über den Tisch gezogen wurde. Das angekündigte Portal „OpenLeaks“ des früheren „WikiLeaks“-Mitarbeiters Daniel Domscheit-Berg ist noch nicht sonderlich aktiv – obwohl das Prinzip nachvollziehbar gut ist: Dort sollen die Informationsgeber aktiv werden, ohne dass deren Identität den Plattformbetreibern bekannt wird. „OpenLeaks“ prüft dann nur die Eignung der zur Veröffentlichung bestimmten Dokumente. Der Vergleich zeigt, dass „PotsdamLeaks“ eine ganz andere Ausrichtung besitzt: Es handelt sich um eine Seite mit harten, kritischen Texten, deren Wahrheitsgehalt nicht überprüfbar ist, weil Dokumente fehlen. Zugleich halten sich die Autoren versteckt.
Wie beurteilen Sie generell die Wirkungskraft von solchen „Leaks“-Projekten – sind sie tatsächlich zukunftsträchtig?
Natürlich. Die Relevanz solcher Projekte wird zunehmen, weil wir uns alle mehr Transparenz in der Politik wünschen. Es geht in der Debatte um Informationsgeber in Institutionen und Unternehmen, die auf Ungereimtheiten stoßen, aber aus Sorge vor Jobverlust und Strafverfolgung nicht öffentlich sprechen können. Im US-amerikanischen Wirtschaftsrecht sind derartige „Whistleblower“, also verdeckte Tippgeber, bereits gesetzlich geschützt. Diese Ansätze müssen auch bei uns weiter verfolgt werden.
Die Fragen stellte Henri Kramer
Hans J. Kleinsteuber, geboren 1943, ist emeritierter Professor für Politikwissenschaft und Journalistik an der Universität Hamburg. Er forscht zum Thema Medien, Internet und Politik.
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