Am 19. September wählt Potsdam einen neuen Oberbürgermeister. Sieben Männer und Frauen bewerben sich um das Amt. Was macht sie und ihre Politik aus? Was wollen sie in der Landeshauptstadt bewegen? Heute: BENJAMIN BAUER, Die Andere (Folge 3): mit der Farbdose
Genüsslich bläst Bob Marley den Rauch seines Joints in die Luft. Stilvoll, in Schwarz- Weiß.
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Genüsslich bläst Bob Marley den Rauch seines Joints in die Luft. Stilvoll, in Schwarz- Weiß. Das Porträt der Reggae-Legende ziert die Küche von Benjamin Bauer, im Hintergrund läuft Hip-Hop-Musik. Spätestens hier wird klar: Dieser Oberbürgermeisterkandidat ist tatsächlich anders – so wie es der Name der Wählergruppe verspricht, für die er antritt. Bauer wohnt in keiner Villen-Vorstadt, sondern in einer WG im Niemandsland zwischen Babelsberg und Zentrum-Ost. Hinten raus dröhnen die Züge, vorne die Autos über die Nutheschnellstraße.
Das Wohnzimmer wird beherrscht von überlebensgroßen Graffiti, ein Rausch der Farben, mal düster, mal bunt wie ein Schmetterling. Das hier, so die augenfällige Botschaft, ist einer, der Politik aus einem anderen Blickwinkel sieht – unangepasst, gegen den Strich gebürstet. „Bauer to the People“, Bauer fürs Volk, steht auf einem seiner Wahlplakate. Die Anspielung auf eine alte John-Lennon-Parole kommt nicht von ungefähr. Ansprechpartner will er sein, für die Bürger, für die Menschen. Eine Selbstverständlichkeit müsste das für einen Oberbürgermeister sein, meint Bauer und findet, dass es für den Amtsinhaber keine ist.
Der jüngste der Kandidaten und der Einzige, der in Potsdam geboren wurde ist ziemlich nah dran an den Sorgen und Nöten des Lebens. Derzeit lebt der 27-Jährige von Hartz IV. Das soll nicht so bleiben. Kulturarbeit will er studieren, sich engagieren. Jammern ist nicht Bauers Ding. Schon in den Talkrunden mit den anderen Kandidaten predigt der junge Mann Eigeninitiative. Man müsse sich auch kümmern, um einen Job zu finden. Wer wartet, bis der Staat was tut, kann warten, bis er schwarz wird.
Bauers Lebenslauf ist unstet, was nicht selten ist für einen seiner Generation. Schule, fünf Jahre Leistungssport, erst Leichtathletik, dann Street- und Basketball. Bis die Knie nicht mehr mitmachten. Die 10. Klasse nachgeholt, später auch das Abitur. Die schulischen Leistungen waren „nicht so doll“, bekennt er freimütig. „Da muss man sich was suchen, wo man gut drin ist.“ Bauer hat es getan.
Seine Leidenschaft erfüllt alle Klischees, die das konservative Bürgertum vor Grauen erschauern lässt: Bauer sprüht. Dreimal, erzählt er, habe er deswegen schon vor dem Kadi gestanden. Beim nächsten Mal wäre es eine Geld- oder Gefängnisstrafe, habe der Richter ihm signalisiert. Seitdem besprüht er nur noch Flächen, auf denen er seinem Hobby legal frönen darf. Zum Beispiel an einer Wand am Babelsberger Plantagenplatz. Vier Flächen gibt es da, alle besprüht. Eine wird jetzt dran glauben müssen. Der Anspruch lautet: „Nur drübermalen, wenn man es besser kann.“ Bauer hat sich für einen Schriftzug entschieden, Holm, sein Pseudonym als Sprayer. Schon nach ein paar Minuten kommt ein kleiner Junge vom Spielplatz herüber. „Cool“, sagt der Knirps und fragt erstaunt: „Mit Spray kann man malen?“ Solche Situationen erlebt Bauer immer wieder. Sie freuen ihn, weil sie ihm Gelegenheit geben, sein Hobby vom Image des kriminellen Vandalismus zu befreien. Kommen die Kinder, kommen nämlich meist auch die Eltern. „Wenn die dann merken, dass man mit uns reden kann, sehen sie auch, dass wir keine Verbrecher sind“, sagt Bauer. „Graffiti ist eine Kunstform, die noch mit vielen Vorurteilen zu kämpfen hat.“
Leben will er von dieser Kunstform aber nicht. Auftragsarbeiten lähmen die Kreativität. „Ich habe keine Lust, ständig Bäumchen und Blümchen zu malen“, sagt Bauer. „Und wenn mir jemand 10 000 Euro bietet, damit ich ein Hakenkreuz male, würde ich es trotzdem nicht tun.“ Doch wenn seine kleine Nichte bittet, wird er schon mal weich. Er sprühte ihr Tinkerbell ins Kinderzimmer, die kleine Fee aus „Peter Pan“.
Die Liebe zu Graffiti war es schließlich auch, die Bauer überhaupt zur Politik brachte. Als bei der Sanierung des Kulturstandorts Schiffbauergasse legale Sprayerwände abgerissen wurden, reichte es ihm. „Ich dachte, wenn wir jetzt nicht irgendwas machen, kriegen wir keine neuen Wände.“ Bauer fing an, sich schlau zu machen, wer in der Stadtverwaltung zuständig ist, dann gründete er die Alternative Jugendkultur Potsdam, die AJKP mit. Seitdem kämpft er für mehr Jugendkultur in Potsdam.
Es ist 15 Uhr, Bauer hat die Farbdosen beiseite gelegt, um an einer Besprechungsrunde im Kulturdezernat in der Hegelallee teilzunehmen. Es geht um den Jugendprojektfonds, aus dem Jugendliche zwischen 14 und 27 Jahren Geld für eigene Vorhaben bekommen können. Die Runde will besprechen, wie man Förderanträge entbürokratisieren kann, damit die Jugendlichen sie leichter ausfüllen können. Das ist etwas Konkretes, etwas Handfestes. So stellt sich Bauer Politik generell vor – unten anfangen, beim Bürger.
Zweimal im Jahr, findet der Kandidat, müsste der Oberbürgermeister eine Stadtteilkonferenz abhalten, auf der er sich direkt den Fragen der Einwohner stellt. Wirklich „mal zuzuhören, scheint für Politiker nicht mehr wichtig zu sein“. Bauer hört zu. Am Abend, es ist Montag, setzt er sich nach hinten in den Plenarsaal des Stadthauses. Die Stadtverordnetenversammlung tagt, die Abgeordneten arbeiten nach, was sie am Mittwoch nicht geschafft haben. Bis auf Bauer sind die Besucherreihen leer, obwohl die Sitzung öffentlich ist. Er wolle „auf dem Laufenden bleiben“, sagt er und grinst. Auch, weil er damit Munition gegen Politikverdrossenheit sammeln kann. „Ich kenne unwahrscheinlich viele Menschen, die von der Politik der großen Parteien angekotzt sind“, sagt er. Weder dem Amtsinhaber noch seinem größten Widersacher traut Bauer den Schwung zu, das zu ändern. Jann Jakobs (SPD) mache schon auf den Wahlplakaten „keinen reißerischen Eindruck und auch Herr Scharfenberg wirbt mit nichts Neuem“.
Falls er gewählt wird, will Bauer erstmal seine Familie zum Essen einladen, „weil ich dann das nächste halbe Jahr kein Privatleben mehr hätte“. Er müsste sich nämlich durch Stapel von Verwaltungsakten wühlen, um publik zu machen, „wovon Otto Normalbürger sonst nix erfährt“. Und dann neue Prioritäten setzen. Zum Beispiel beim Bürgerhaushalt. „Keiner der Gewinnervorschläge der letzten drei Jahre wurde vernünftig umgesetzt“, kritisiert Bauer. Dabei sei die Idee eines Bürgerhaushalts „super“, man müsse ihn aber mit genug Geld ausstatten. Auch den Zehn-Punkte-plus-Plan für die Jugendkultur würde Bauer umsetzen und natürlich, wie auf einem Wahlplakat versprochen, „das Rathaus pink anmalen“. Zwei Prozent der Stimmen sind sein Ziel. Damit wäre er besser als Falk „Napoleon“ Richter, der mit seiner Satire-Kampagne 2002 für Die Andere 1,83 Prozent geholt hatte. Demokratie ist für Bauer ein kostbares Gut. Keinen seiner Freunde animiert er, für ihn zu votieren. „Ich habe ihnen gesagt, wählt, wen ihr wollt – aber geht wählen.“ Auch Bauer will nicht für sich selbst stimmen. „Das“, sagt er uneitel, „käme mir wie Beschiss vor.“
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