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Landeshauptstadt: Mit der Hälfte zur Mehrheit

Der lange Tag des Wieland Niekisch: Beinahe drängt ihn Steeven Bretz vom Thron der Potsdamer CDU

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Keinen vergessen, jede Stimme zählt. Amtsinhaber Wieland Niekisch drängt in die Reihen und schüttelt Hände: „Es ist schön, dass Du kommen konntest.“ Zwei Partei-Veteranen raunen sich zu: „Immer bis zur letzten Sekunde Freundlichkeiten austauschen.“ Auch Herausforderer Steeven Bretz lässt keine Schulter ungeklopft. In der Mehrzahl Männer in dunklen Anzügen drängen in den Logenhaus-Saal der Tanzschule „Die Linksfüßer“ in der Kurfürstenstraße. Gefragt oder auch ungefragt sagt der ein oder andere, bei ihm stünde es momentan „fünfzig zu fünfzig“.

Es ist Kreisparteitag der Potsdamer CDU, Showdown im Kampf um den Kreisvorsitz. Auf der Klausurtagung zwei Wochen zuvor hatte Bretz, wie er sagt, „seinen Hut in den Ring geworfen“. Während freundliche Frauen vor dem Saal noch Wiener verkaufen, zwei Euro das Paar, geht es drinnen um die Wurst. „Herzlich willkommen“.

Aber die Fahne hängt halbseitig herunter. Mit drei Reißzwecken ist ein metergroßes Banner mit den drei Buchstaben C,D und U am Podiums-Vorhang befestigt. Ausgerechnet die erste Reißzwecke löste sich, das C ist abgesackt, das C, das bei den Christdemokraten für christlich steht. Übrig bleibt ein wenig vertrauliches „DU“ – wer weiß, wie lange die übrigen Zwecken halten. Tagungspräsident Rolf Hilke fordert „die Regie“ auf, das Bild wieder herzustellen: „Einige scheinen zu glauben, das sei der Zustand der CDU.“

Immer noch drängen Mitglieder in den Saal. „Gibt es da noch Schlangen?“, fragt Niekisch und begrüßt die Basis: „Es ist Ihr Tag“, sagt er und erhält als erstes Stimmungsbarometer einen verhaltenen Beifall. Wird es auch sein Tag sein? Der Beifall nach der Begrüßung der Kulturministerin Johanna Wanka fällt lauter aus. Auch der für Steeven Bretz.

Zunächst kritisiert die Bundestagsabgeordnete Katherina Reiche die „Pleiten, Pech und Pannen“ der Stadtverwaltung. Johanna Wanka geißelt kurz darauf den Rücken der Partei: „Wir bedienen das Klischee einer zerstrittenen Chaospartei.“ Die Menschen verstünden nur, „die sind nicht wählbar, die sind mit sich beschäftigt“. Aber heißt das, die Ministerin ist gegen die Bretz-Attacke auf den Kreisvorsitz? Sie sagt „Wettbewerb gehört zur Politik – wenn er sauber und integer ist.“

Dann ist Niekisch dran. „Bewusst“ sei der Parteitagsort zwischen Helmholz-Gymnasium und Eisenhart-Schule gewählt worden: „Hier gehören wir hin, in die Mitte der Probleme.“ Niekisch, Vorsitzender seit zwölf Jahren, spricht über die Vorzüge der CDU und die Erfolge der Partei unter seiner Führung. Das bürgerliche Profil der CDU sei ein „Alleinstellungsmerkmal“. Doch noch immer gelte für Potsdam, was Wolf Jobst Siedler über Berlin sagte: „Die Stadt hat viele Einwohner, aber zu wenige Bürger.“Aber die Zahl der CDU-Mitglieder sei von etwa 100 im Jahre 1995 auf jetzt über 400 angestiegen.

Dann wird er kämpferisch. Angesichts des verstärkten Eigenheimbaus in der Stadt sagt er, „Eigentum verpflichtet, Eigentum setzt bürgerliches Engagement voraus“. Die CDU sei die „Partei des Eigentums“, wer Eigentum habe, besitze eine „bessere Einstellung zu Ordnung und Sicherheit“, darum sei die CDU Potsdam „die Partei von Law und Order!“

Auf direkte Seitenhiebe auf seinen Kontrahenten verzichtet Niekisch. Auch Bretz vermeidet dies. Seine Angriffe richten sich gegen SPD, PDS und Stadtverwaltung. Letztere betreibe keine langfristige Planung, „nur Flickschusterei“. Im Fokus der Kritik an der Stadt steht das Debakel um die Eisenhart-Schule und die Situation in der Bauverwaltung nach der Schelte von Günther Jauch.

Dann ist die Zeit der Reden vorüber. 199 stimmberechtigte Mitglieder sind im Saal, fast die Hälfte aller Mitglieder des Kreisverbandes. „Ein fantastisches Ergebnis“, erklärt Tagungspräsident Hilke. An den vier Wahlkabinen entstehen lange Schlangen und leichter Tumult, weil der Wahlmodus nicht jedem klar ist. Es wird geholfen, erklärt, um Eile gebeten – und dann Stimmen gezählt.

Das Ergebnis spaltet Potsdams CDU wie ein Beil: 92 Stimmen für Niekisch, 92 Stimmen für Bretz.

Ein dicker Schweißtropfen rinnt Niekisch von Schläfen über die Wange. Bretz wirkt weiter unterkühlt. Ein zweiter Urnengang wird notwendig. In die allgemeine Lähmung hinein sprechen einstweilen die Kandidaten für den Vizevorsitz ihre Kurzvorstellung. Wer will das jetzt hören? Mit dem sicheren Instinkt für die unpassendste aller Situationen verkündet Beisitzer-Kandidatin Maike Denker plötzlich, sie sei 37 Jahre alt und wolle 2010 Potsdamer Oberbürgermeisterin werden: „Ich kann Kühe melken und bringe auch den entsprechend fundierten Hintergrund mit.“ Sie meint es ernst. Der Stimmung tut es keinen Abbruch.

Indes bietet Bretz Niekisch auf Geheiß des stellvertretenden Landesvorsitzenden Sven Petke an, auf einen zweiten Anlauf zu verzichten. Doch Niekisch will die Entscheidung. Also zweiter Wahlgang, zweite Auszählung, zweite Verkündung. Die beiden Kandidaten stehen am hinteren Ende des Mittelganges. Beide sind bereit, mit erhobenen Händen den Siegeszug zum Podium anzutreten. Wie Boxer gehen sie mal einen Schritt vor, mal einen zurück. 94 Stimmen sind die Mehrheit. Gewählt mit 94 Stimmen ist – der Tagungspräsident hebt die Stimme – „Dr. Wieland Niekisch“.

Seine Frau fällt ihm um den Hals, Beifall tost auf, der alte Vorsitzende ist auch der neue, die Aufruhr ist gescheitert. Nur wenige Enttäuschte geben sich die Blöße, jetzt nicht zu klatschen. Niekisch tritt ans Mikrofon. „Ich bedanke mich für das Vertrauen und nehme die Wahl an.“ Die Kandidatur von Steeven Bretz sei „nicht glücklich eingefädelt“ worden, jedoch „legitim“. Bretz habe „ein gutes achtbares Ergebnis bekommen“. Den Streitenden in seiner Partei ruft Niekisch zu, „hört auf, es ist genug, wir gehören zusammen“. Der Unterlegene erklärt, er akzeptiere das Wahlergebnis. Tief in der Nacht wird er noch zu einem der vier Stellvertreter von Niekisch gewählt. Gegen vier Uhr verlässt Niekisch das Logenhaus und macht einen Spaziergang. Er liebe den Geruch der Linden am Morgen, sagt er gestern Mittag den Journalisten. Am 18. Juni treffe sich der neue Kreisvorstand zur ersten Sitzung. Niekisch: „Vielleicht gehen wir in den Garten grillen.“

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