zum Hauptinhalt

Landeshauptstadt: Mit „Gott“ am Billardtisch

Bildungsminister Reiche sprach mit Jugendlichen im Club 91

Stand:

Bildungsminister Reiche sprach mit Jugendlichen im Club 91 Von Karsten Sawalski Unverrückbar steht der Billardtisch zwischen dem Minister und der Jugend. Der Politiker sitzt an der Stirnseite, die Jugendlichen und jungen Erwachsenen ihm gegenüber. Und dazwischen spannt sich das grüne Tuch. Hoffnung? Steffen Reiche, Minister für Bildung, Jugend und Sport ist am Dienstagabend im Club 91, um als erster Gast seit einem Jahr die Veranstaltungsreihe „Talk im Club“ zu eröffnen. „Wenn jetzt etwas schief geht ...“, deutet der Bildungsminister das mögliche Malheur an, als er sein Bierglas auf der Kante des Spieltisches abstellt. „Dann gibt es endlich einen neuen Tisch“, fällt ihm gleich ein Gast mit Vollbart ins Wort, der wohl nicht mehr als jugendlich gelten dürfte. Die fünf Gäste, die offensichtlich als Jugendliche zu erkennen sind, sitzen bis zur Ankunft des prominenten Politikers in einer Sofaecke und würfeln. „Wenn Reiche etwas Interessantes erzählt, bleiben wir hier“, sagt die 16-jährige Josephine Sladkobski. Gespannt sind die jüngeren „Stammgäste“ des Clubs nicht gerade. „Ist das Politikverdrossenheit?“, fragt sich Peter Neumann. Der Projektleiter ist für den Sport zuständig, hat die Talkrunde organisiert und moderiert die nächsten zwei Stunden. Es wundert ihn, dass nur so wenig Jugendliche gekommen sind, denn er hat im Vorfeld alle sozialen- und Jugendeinrichtungen darüber informiert. Schließlich sei Reiche doch „der erste Ansprechpartner wenn es um Jugendpolitik geht“. Allerdings wird sich die Befürchtung, dass die Veranstaltung kurz und belanglos endet, nicht bestätigen: Der Bildungsminister versteht es, sich sympathisch zu präsentieren. Schon nach kurzer Zeit hat Reiche eine angenehme Gesprächsatmosphäre geschaffen. „Glauben Sie an Gott?“. Direkt und ohne Umschweife ist die Frage an die Person Steffen Reiche gerichtet. Doch solche „Bälle“ scheint der Bildungsminister mit der theologischen Vergangenheit sicher aufzufangen. Wohl weniger weil er zwischen 1988 bis 1990 als Pfarrer in Christinendorf bei Trebbin tätig war, sondern vielmehr weil Steffen Reiche lieber als Steffen Reiche auftritt. Als geborener Potsdamer ist er zu Gast und als Bürger, der ebenso skeptisch seiner eigenen Kirche gegenüber steht, wie der Politik. „Wenn ich nicht glauben würde, wäre vieles in meinem Leben an der Basis zerbrochen“, erklärt sich Reiche grundsätzlich. Schnell bemerkt der Bildungsminister, dass er sein Verständnis vom „Glauben als höhere Erkenntnis des Wissens“ nicht abstrakt erklären kann. Reiche wird augenblicklich persönlich: „Ich sehe an Ihrem Ring, dass Sie verheiratet sind“, spricht er den ersten Frager direkt an, um dann den Glauben in die Nähe der Liebe zu rücken, indem er von seiner eigenen Ehe erzählt. Doch das Publikum bleibt beharrlich: „Verliert man in der Politik nicht den Glauben?“, fragt Anne Pichler, Geschäftsführerin vom Stadtsportbund. Mittlerweile haben sich einige Neugierige eingefunden, die den Talk aus dem Türrahmen verfolgen. Eine Flasche kippt um, es wird unruhiger. „Nein!“, antwortet Reiche entschieden, in der Politik könne man zwar den „Verstand oder die Geduld“ verlieren, aber in seinem Leben sei eher das Theologiestudium eine große Prüfung für den Glauben gewesen. Trotzdem sei er immer noch gerne Politiker, behauptet Reiche, für ihn sei es der zweitbeste Beruf nach einem Schulleiter. Nach einem Exkurs über Schulen und die Notwendigkeit von Reformen fragt Pichler nochmal nach: „Woran sollen die jungen Leute glauben, wenn Sie erzählen, wie finster die Zukunft aussieht?“ Der Glaube, den er meine, gehöre in „eine andere Kategorie“, weicht Reiche aus und verfällt einmalig in die Argumentation der Regierungspartei: „Die Reform ist notwendig und tut immer jemandem weh“. Nach über zwei Stunden wird der Minister mit Applaus und mit einem Blumenstrauß verabschiedet. „Der ist für ihre Frau“, sagt Moderator Neumann, „weil sie heute Abend so lange auf sie warten musste“. Auch die Würfelrunde ist bis zum Schluss geblieben. „Ich fand es sehr interessant“, sagt Steffi Decker (18), „Reiche ist sehr menschlich und nicht so überheblich wie andere Politiker“. Der Club 91 führt die Veranstaltungsreihe „Talk im Club“ am 11.05. 2004 um 18.30 Uhr mit Barbara Richstein, Ministerin der Justiz und für Europaangelegenheiten des Landes Brandenburg, fort.

Karsten Sawalski

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })