Homepage: Mit religiöser Inbrunst
US-Politologin Mary Sarotte analysierte am ZZF die jüngste Wahl in den USA
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US-Politologin Mary Sarotte analysierte am ZZF die jüngste Wahl in den USA Für die übergroße Mehrheit der Europäer war es nach der langen Wahlnacht am 4. November in den USA schier unbegreiflich, weshalb der neue amerikanische Präsident nicht John F. Kerry heißen wird. Nicht nur reiben sich viele verwundert die Augen, wenn sie von aberwitzigen Mechanismen des amerikanischen Wahlsystems und nicht funktionierenden Wahlmaschinen hören. Völlig rätselhaft scheint, wie trotz Kriegsdesaster und Rekorddefizit eine christlich-fundamentalistische Regierung wiedergewählt wird. George W. Bush und mit ihm die Stimmung von Millionen Amerikanern sind ein schwer erklärbares Phänomen. Dr. Mary E. Sarotte, Politologin an der University of Cambridge, versuchte nun am Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZZF) ein wenig Licht ins Dunkel zu bringen. Zur Zeit ist Mary Sarotte als Gastwissenschaftlerin im ZZF tätig. Im September 2001, wenige Tage vor den Terroranschlägen in New York und Washington, öffnete ihr ein seltenes Privileg die Türen des Weißen Hauses: Als so genannte White House Fellows erhalten junge Akademiker dort die Möglichkeit, ein Jahr lang die Regierungsarbeit aus nächster Nähe kennen zu lernen. Die religiöse Inbrunst, mit der George W. Bush und andere Mitglieder der Administration auftreten, wirkt nach außen oft aufgesetzt. Für Mary Sarotte, die Bush in dieser Zeit mehrfach begegnet ist, spricht aus dessen religiöser Haltung jedoch tiefe Überzeugung. Der Glaube an Gott stelle für den amerikanischen Präsidenten die Richtschnur seines politischen Handelns dar. Und dies erst recht seit dem 11. September. Bush lebe, so Sarotte, in einer Art Sendungsbewusstsein: Gott habe ihn „auserwählt“, an jenem schicksalhaften Tag 2001 Präsident der USA zu sein. Als Führer der Nation und Werkzeug in „Gottes Heilsplan“ fühle er sich berufen, den Kampf gegen die „Feinde Gottes“ siegreich zu Ende zu führen, womit er auf eine weit verbreitete „12.-September-Stimmung“ treffe. Daraus erkläre sich zum großen Teil der erneute Erfolg der Republikaner. Nicht zuletzt dank einer bestens funktionierenden Wahlkampf-Geld-Maschinerie hätten die Republikaner eine unglaubliche Mobilisierung ihrer Wähler erreicht. Karl Rove, der republikanische Wahlstratege, habe ein sicheres Gespür für die Sehnsüchte und Bedürfnisse vieler Amerikaner bewiesen: Für sie ist George W. Bush ein starker Präsident, gerade weil er so kompromisslos Glaube, Patriotismus und Wertebewusstsein zu vertreten scheint. Doch was bedeutet der Wahlsieg Bushs für die transatlantischen Beziehungen? Sarotte verwies darauf, dass es in den vergangenen Jahrzehnten häufig zu Spannungen zwischen Europa und den USA kam. Verstärken werde sich jedoch die tiefe „transatlantische Diskrepanz“: Als einzig verbliebene Weltmacht werden die USA in militärischer, technologischer und ökonomischer Hinsicht Europa noch mehr enteilen. Die Außenpolitik Bushs werde sich weiter militarisieren und innenpolitisch die christlich-konservative Wende verfestigen. Carsten Dippel
Carsten Dippel
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