Landeshauptstadt: Mit sanfter Kraft
Ina Sonntag, die künftige Herrin auf Schloss Kartzow, ist eine feinfühlige Frau mit strategischer Intelligenz
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Die Flügeltüren stehen offen und der helle Spätsommer scheint herein. Er spiegelt sich in ihrem Gesicht. Ihr Haar leuchtet. Nur kurz schließt sie die blauen Augen, dann blickt Ina Sonntag hinaus auf den Park und atmet tief ein. Momente wie diese geben ihr Kraft. Diese Stille. Dieses Spiel des Lichts. Dieses Verwunschene und Märchenhafte.
Am 26. September letzten Jahres sieht sie Schloss Kartzow zum ersten Mal. Sie betritt den Bau des Architekten Eugen Schmohl durch einen Nebeneingang. Ihr Blick fällt zugleich auf ein rundes Relief aus Rom, gefertigt im Jahr 1873. Potsdams Stadtkonservator Andreas Kalesse wird es später „eine wunderbare Marmorarbeit“ nennen. Das kleine Kunstwerk zeigt eine junge halbnackte Frau neben einem Rebstock. Im nächsten Raum, den Ina Sonntag betritt, fällt die abgeplatzte Latexfarbe von der Decke. Dieser Anstrich mag nützlich gewesen sein für die Nutzung des 1912 erbauten neobarocken Schlosses als Sanatorium für nierenkranke Kinder. Doch Latex ist nicht wasserdurchlässig, das Material kann nicht atmen, Feuchtigkeit nicht nach außen dringen. Viele andere würden sich wohl von den maroden Details des seit 1998 leerstehenden Gutshauses abschrecken lassen. Doch Ina Sonntag sieht sogleich nicht nur, was es ist, sondern was es sein könnte. Eigentlich wollte sie Innenarchitektin werden, doch ihre Eltern entschieden, dass sei kein Beruf für ein Mädchen. So wurde sie Pädagogin. Nun, da sie Anlauf nimmt, beruflich Neuland zu betreten, sprudeln die alten verschütteten Inspirationen wie Wasser aus einer freigelegten Quelle. Die 44-Jährige will am Wublitztal, dort wo Potsdam am nördlichsten ist und noch nördlicher die Döberitzer Heide beginnt, ein Hotel der oberen Kategorie etablieren. Auf ihrer Internetseite www.schloss-kartzow.de ist das Dornröschenschloss schon aus dem Schlaf erwacht. Als bräuchte es nur noch wenige Klicks und das nächste Wellness-Wochenende ist gebucht. Als wäre der Weg, der vor Ina Sonntag liegt, schon gegangen. Sie weiß, dass viel Arbeit vor ihr liegt. Aber sie weiß auch, dass sie Herausforderungen bestehen kann. Sie gehöre zu den Menschen, die Chancen ergreifen und auch nutzen können. Viele ließen sich von kleinen Hürden abschrecken. „Ich nicht“, sagt sie. Wenn ihr etwas Spaß mache, spüre sie keine Anstrengungen.
Dass es so ist, hat sie bewiesen. Sie ist stolz darauf, neben ihren zwei eigenen Kindern gemeinsam mit ihrem Mann auch vier Pflegekindern ein Zuhause gegeben zu haben. Drei der sechs, die alle Mama zu ihr sagen, sind bereits ausgezogen, kommen aber bei Familienfeiern gern nach Brieselang, wo die Sonntags wohnen. Ihr Mann ist Inhaber einer Firma, die für Energieunternehmen Strommasten errichtet und instand hält.
Potsdam kennt Ina Sonntag aus ihrer Studienzeit am Institut für Lehrerbildung. Nach dem Studium arbeitet sie in Hennigsdorf, verlässt aber die Schulbildung kurz vor dem Mauerfall, weil Selbstbild und Realität des Schulsystems in der DDR nicht mehr übereinstimmen. Sie wird Kellnerin und findet nach der Wende in Berlin eine Anstellung im öffentlichen Dienst als Heimpädagogin. Sie arbeitet im so genannten Clearing-Bereich, einer Art Notaufnahme für gestrandete Jugendliche, die in einer Sackgasse stecken, „die ohnmächtig gegen alles anrennen“, bei denen in der Familie „Unglaubliches“ vorgefallen ist. Es ist vorstellbar, dass die, die niemandem mehr trauen, bei Ina Sonntag doch noch eine Ausnahme machen, sich öffnen, sich steuern lassen. Ina Sonntag wirkt auf intensive Weise sanft und stark zugleich.
Ihre älteste Tochter ist 25 und gelernte Hotelfachfrau. Mit ihr will Ina Sonntag das Hotel Schloss Kartzow betreiben. Der Schatz, den es zu heben gilt, wiegt schwer: Das Gutshaus ist eine architektonische Besonderheit, dessen Architekt Schmohl mit dem Borsigturm in Tegel immerhin das erste Berliner Hochhaus entwarf. Der Park stammt vom namhaften Landschaftsgärtner Fintelmann – von welchem der gleichnamigen Brüder weis Stadtkonservator Kalesse noch nicht genau. Nicht zuletzt sprudelt Sole als auch Mineralwasser aus Quellen auf dem Schlossareal, eine Verwendung der heilenden Wässer innerhalb als auch ein Verkauf außerhalb des Hotels ist denkbar. Bis Ende des Jahres hat Ina Sonntag einen Überlassungsvertrag vom Land Brandenburg. Die Verhandlungen drehen sich derzeit um den Kaufpreis, sie hofft auf ein Entgegenkommen seitens des Landes. Nach der Unterschrift unter dem Kaufvertrag Ende des Jahres sollen noch im Winter erste Sanierungsarbeiten beginnen.
Was Schloss Kartzow gegenüber anderen Schlössern wirtschaftlich unattraktiv gemacht hat, ist der bereits vor Jahren erfolgte Verkauf der Nebengebäude einschließlich der beiden Torhäuser. Ina Sonntag will diese zurückkaufen und das alte Schlossbild wieder herstellen: „Ich öffne diese Toreinfahrt wieder“, sagt sie mit fester Stimme. Doch sie geht behutsam vor. Die Leute im Dorf sind skeptisch und verunsichert nach dem Motto, „wer weiß die verschwindet auch wieder“. Zu viele Interessenten mit zu vielen Konzepten waren in den vergangenen Jahren in Kartzow vorstellig. Ina Sonntag will den Kartzowern Zeit lassen, um sich an sie und die Hotel-Idee zu gewöhnen. Zwar will Sie schon vorher Hochzeitsfeiern und Sommerkonzerte im Schloss organisieren, das Hotel selbst aber erst 2009 eröffnen. Mit ihren Überlegungen beweist sie strategische Intelligenz, 2009 sind auch die jüngsten Kinder selbständiger, dann wird sich der Naturpark Döberitzer Heide bis nach Potsdam hin erstrecken und nicht zuletzt wird das Dorf über verschiedene Förderungen seinen historischen Charme gestärkt haben. Dann steht das Spritzenhaus wieder, der Weiher – der Dorfteich – wird ebenso saniert sein wie die Dorfstraße und löst Entzücken aus wie die bereits in den 80-iger Jahren topsanierte kleine Kirche. Schloss und Dorf bildeten einmal eine Einheit und das soll auch wieder so sein.
Ina Sonntag glaubt, auch sie selbst müsse sich noch etwas verändern. Sie sagt, sie muss lernen, auch einmal nein zu sagen und wenn es sein muss, Leuten auch einmal auf die Füße zu treten.
Schöner aber wäre, sie bliebe wie sie ist.
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