Landeshauptstadt: Mit sechs großen „P“ zum „Potsdamer Modell“
Bewährtes mit Neuem verbinden – die Potsdamer Waldorfschule feiert ihr 15-jähriges Bestehen
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Admetos, König von Thessalien, ist todkrank und kann nur gerettet werden, wenn ein anderer sich für ihn opfert. Es ist Alkestis, seine Gattin, die freiwillig diesen Opfertod stirbt ... Schüler der 8. Klasse der Potsdamer Waldorfschule proben „Die Alkestiade“ von Thornton Wilder, der, den griechischen Mythos aufgreifend, die Geschichte einer nach dem Sinn des Lebens suchenden Frau erzählt. Morgen, wenn die Waldorfschule ihr 15-jähriges Bestehen feiert, hat das Stück Premiere.
Das Theaterspielen gehört wie der Epochenunterricht, die Bewegungssprache Eurythmie und das handwerkliche und gestalterische Arbeiten zu den Grundpfeilern der Waldorfpädagogik, wie sie 1919 vom Anthroposophen Rudolf Steiner begründet wurde. Viele seiner Ideen beeinflussten später die Unterrichtspraxis auch an Regelschulen. Englisch und Russisch ab Klasse 1 und die individuelle Beurteilung, die das gängige Notensystem ersetzte, gelten bis heute als innovativ. Dennoch kämpft die Waldorfpädagogik mit dem Image, angestaubt und überholt zu sein. Ein Vorurteil?
Die 15 Jahre junge Waldorfschule in Potsdam hat ihre „Gründerzeit“ genutzt, bewährte Elemente mit fortschrittlichen Konzepten zu verbinden. Projektunterricht, Präsentation, Portfolio, Praktika, Prüfungskultur und Paradigmenwechsel – das sind die sechs großen „P“, die der Potsdamer Schule innerhalb der Waldorfpädagogik inzwischen Modellstatus verleihen. „Waldorflehrer aus dem In- und Ausland kommen hierher, um zu hospitieren und sich Anregungen zu holen“, so Malcolm Hope, Fachlehrer für Englisch und Geografie.
Schon das Gebäude in der Waldstadt überrascht. Eine schlichte, aber helle Plattenbau-Schule, die mit Holz, Stoffen und warmen Farben behaglich ausgestattet wurde. Lichtes Zentrum ist der gläsern überdachte Innenhof – ein Atrium mit Logen in den oberen Etagen. „Ideal für Zusammenkünfte, Theater, Konzerte und Präsentationen“, schwärmt Malcolm Hope. Die Schüler stellen hier nicht nur ihre Epochenhefte aus, die sie von jeher anstelle fertiger Lehrbücher selbst schreiben und gestalten, sondern präsentieren ihre Ergebnisse auch mit modernen Medien, mit Film oder DVD. „So wie es das Fach Technologie bereits an der ersten Waldorfschule gab, gehört heute der Computerkurs selbstverständlich dazu“, erklärt Hope. Mitnichten ist die Waldorfschule auf dem Stand von 1919 stehen geblieben, auch wenn das noch immer praktizierte Filzen, Stricken, Schnitzen und Töpfern manchem altertümlich erscheinen mag. Wer aber jemals versucht hat, mit fünf Nadeln ein Paar Socken zu stricken, der weiß, wie viel Fingerfertigkeit, Konzentration und Vorstellungsvermögen hierfür vonnöten ist. Ein Denksport, der Methode hat. Was in den Werkstätten und im Schulgarten klein beginnt, wird später während der Praktika in Forst- und Landwirtschaft, in der Industrie oder in sozialen Einrichtungen, bei der Landvermessung in der 11. oder im Kunst- und Architekturpraktikum in der 12. Klasse fortgeführt.
Absolut auf der Höhe der Zeit ist die Waldorfschule mit ihrer Portfolioarbeit. Die Schüler dokumentieren ihre Ergebnisse in einer Mappe und können so den eigenen Lernweg gestalten und kontrollieren. Die neue Prüfungskultur erlaubt es zudem, einzelne Aspekte aus dem Portfolio darzulegen und zu zeigen, was auf welche Weise erarbeitet wurde. Der Paradigmenwechsel im Prüfungswesen, das sechste „P“ des Potsdamer Modells, führt dazu, dass die Schüler ohne Prüfungsangst ein Höchstmaß dessen zeigen dürfen, was sie können und nicht befürchten müssen, dass ihre Schwachstellen gesucht werden. Antje Horn-Conrad
Festakt und Theater, Do 22.3., 16 Uhr, Waldorfschule, E.-Weinert-Str. 5, Fr 23.3., 19 Uhr Theater, Sa 24.3., 16 Uhr Feier
Antje Horn-Conrad
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