Sport: Mit Sinn für Balance
Enrico Bolduan betätigt sich derzeit beim Handball-Zweitligisten VfL Potsdam als sportlicher Vorreiter
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Es gab viele dieser Szenen, die stets auch ein wenig an alte, unbeschwerte Tage erinnerten. Insgesamt elf Mal traf Enrico Bolduan mit seiner ganz speziellen Wurftechnik vor fünf Tagen im Heimspiel gegen die Ahlener SG ins Tor des Gegners. Den 25-jährigen, der mit dem 1. VfL Potsdam morgen ab 19.30 Uhr beim ASV Hamm antritt, ließ seine ganz private Erfolgsbilanz aber unbeeindruckt. Schließlich ging die Partie mit 26:30 verloren. Der gebürtige Potsdamer benötigte hinterher Stunden, um die Enttäuschung über dieses Resultat zu verdrängen. Als Familienmensch tat er dies gemeinsam mit seinen Eltern und mit Freundin Jasmin.
Bolduan ist so etwas wie das Sinnbild des aktuellen Handballs in Potsdam. Fünf Regionalliga-Spielzeiten absolvierte er für den 1. VfL, mit dem ihn ein ungewöhnlich hoher Grad an Identifikation verbindet. Der Rückraumspieler behauptet in der Torschützenliste der 2. Handball-Bundesliga Nord mit in 23 Spielen geworfenen 143 Treffern den fünften Platz. Als Spieler eines Tabellenvorletzten wohlgemerkt! Dass er dennoch zwischenzeitlich kein Stammspieler mehr war, sondern sich diese Position erst wieder zurück erkämpfen musste, will er angesichts der derzeit sehr ernsten sportlichen Situation der VfL-Bundesligamannschaft nicht zum großen Thema gemacht sehen.
Handballer wie Enrico Bolduan sind bodenständige Leute, genau wie ihre Sportart sehr bodenständig, hart und körperlich ist. Im Spiel gegen Ahlen wurde er von den gegnerischen Abwehrspielern mit allen Mitteln traktiert. Sich auf ihn zu konzentrieren, fiel nicht schwer. Die anderen Feldspieler scheuten gemeinschaftlich die allerletzte Konsequenz. Es ist diese eigentümliche Mischung aus Sprunghaftigkeit und Leistungsschwankung, die beim gelernten Industriekaufmann immer wieder Nachdenklichkeit hinterlässt, wenn er die aktuelle Situation des Teams reflektiert. Einigen vor Saisonbeginn gekommenen Akteuren, so sehen es auch Stammbesucher der VfL- Heimspiele, fehlt es an innerer Bindung zum Verein. Entsprechend bewegen sie sich auf dem Spielfeld. Bolduan will dies im ersten Moment so nicht stehen lassen und schiebt wenig später doch nach, dass Mitstreiter vergangener Zeiten wie Tobias Kurtz, Björn Rupprecht oder auch John Lenser immer einhundertprozentige Bereitschaft eingebracht haben.
Die Erinnerung an das seliger Aufstiegsjahr ist das eine. Enrico Bolduan hat sie parat und kann sich dennoch nicht vorstellen, wieder in der Regionalliga zu spielen. „Ich bin sehr stolz darauf, das Emblem der Handball-Bundesliga auf dem Ärmel meines Trikots zu tragen“, erzählt er und lässt durchblicken, dass er Kenntnis von wirtschaftlichen Problemen anderer Ligakontrahenten wie der HSG Augustdorf/Hövelhof oder auch der SG Achim/Baden hat. Als Sportsmann hegt er jedoch nicht die Intention, davon nun unbedingt profitieren zu wollen. Er baut vielmehr auf das vermeintlich günstige Restprogramm Potsdams mit Heimspielen gegen Anhalt Bernburg, Dessau, den SC Magdeburg II, die HSG Varel, Post Schwerin und Augustdorf. „Wenn alle bei uns dann klar im Kopf sein werden, entscheiden wir davon das Gros für uns und bleiben drin“, ist er sich sicher.
Es ist das stete Bemühen um Balance im Alltag, das den Mittzwanziger charakterisiert und sympathisch macht. Bolduan arbeitet werktags acht Stunden in der Stadtwerke-Zentrale in der Steinstraße und geht anschließend trainieren. Diesen Rhythmus hat er wie selbstverständlich verinnerlicht. Auch in Situationen größten Drucks ist er im Wettkampf imstande, seine sportliche Qualität abzurufen, die immer auch vom Timing lebt. Morgen Abend in Hamm wird er versuchen, mit seinen Kollegen für eine Überraschung zu sorgen.
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