Homepage: „Möglicherweise gab es keinen Urknall“ Auf einer Konferenz am Albert Einstein Institut begab man sich auf die Suche nach der Weltformel
Die Inkonsistenz der beiden physikalischen Grundpfeiler, auf denen die Welt heute steht, der Quantenmechanik und die Allgemeine Relativitätstheorie, verlangt seit Einstein nach einer einheitlichen Theorie. Die Gesetze der Physik lassen sich an einem Punkt nicht zueinander bringen, im Mikrokosmos, auf Ebene der Quanten gelten andere Gesetze als für die Welt der großen Dinge, etwa der Planeten und Sterne.
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Die Inkonsistenz der beiden physikalischen Grundpfeiler, auf denen die Welt heute steht, der Quantenmechanik und die Allgemeine Relativitätstheorie, verlangt seit Einstein nach einer einheitlichen Theorie. Die Gesetze der Physik lassen sich an einem Punkt nicht zueinander bringen, im Mikrokosmos, auf Ebene der Quanten gelten andere Gesetze als für die Welt der großen Dinge, etwa der Planeten und Sterne. Am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert Einstein Institut) in Golm trafen sich in der vergangenen Woche rund 150 Physiker aus der ganzen Welt zur diesjährigen LOOPS-Konferenz, um eine mögliche Theorie, die Schleifenquantengravitation, zu diskutieren. Die Theorie ist ein Gegenspieler der Stringtheorie. Die PNN sprachen mit dem Organisator der Konferenz, Prof. Thomas Thiemann. Herr Thiemann, Sie versuchen die Natur neu zu interpretieren? Wir wollen eine Theorie konstruieren, die sowohl die Quantenmechanik – also den Mikrokosmos – als auch die Einsteinsche Allgemeine Relativitätstheorie, die den Makrokosmos, insbesodere die Kosmologie und Astrophysik beschreibt, vereinigt. Auf der Konferenz wurden die neuesten Ergebnisse in einer bestimmte Spielart, der Schleifenquantengravitation, vorgestellt, die darauf abzielt, eine solche Theorie zu konstruieren. Man könnte die Bereiche, die vorgestellt werden mit dem Begriff hintergrundunabhängige Quantengravitation umreißen. Hier wiederum gibt es vier Hauptforschungsrichtungen, die Schleifenquantengravitation, die Kausalen Sets, die Dynamischen Triangulierungen und der Pfadtegrale Zugang zur Quantengravitation. Diese vier Bereiche unterscheiden sich fundamental von der Stringtheorie, die ein hintergrundabhängiger Zugang zur Quantengravitation ist. Was muss man sich hintergrundabhängig oder -unabhängig vorstellen? In Einsteins Relativitätstheorie werden die beiden Bestandteile der Natur, Raum und Zeit, also Geometrie und Materie miteinander verknüpft. Diese so genannten Einstein-Gleichungen besagen, dass wenn Materie vorhanden ist, der Raum gekrümmt wird, und dort wo der Raum gekrümmt ist, Materie beschleunigt wird. Hintergrundabhängig will ich in einem Bild formulieren. Stellen Sie sich vor, Sie gehen ins Theater, sehen dort eine Bühne mit Schauspielern. Die Stringtheorie würde auf der Bühne die Figuren als Materie darstellen, die Bühne wiederum wäre die Geometrie. Das heißt, unser Verständnis von Raumzeit ist fest. In einer hintergrundunabhängigen Theorie wird die Bühne selbst zum Akteur, es gibt keinen Unterschied mehr zwischen Akteur und Bühne. Die Bühne wird hier Teil des Schauspiels, während sie bei der Stringtheorie fest steht. Das ist der fundamentale Unterschied unseres Erklärungsansatzes zur Stringtheorie. Gab es nun in Golm auf Ihrem Weg einen Durchbruch? Es gab neue Erkenntnisse im Bereich der Schleifenquantengravitation (Loop-Gravity), einer Theorie, die über alle Längenbereiche Gültigkeit haben soll. Insbesondere Interessant ist hier die Kosmologie, die Frage des Urknalls. Wenn wir heute ins Universum hinaus schauen, dann sieht es so aus, als ob Raum und Zeit einen Anfang hätten, an dem die Materie auf engstem Raum, im Prinzip einen unendlich kleinen Punkt, konzentriert war. Hier wurde nach den Einstein-Gleichungen die Krümmung des Raumes und die Materiekonzentration unendlich groß. Die Schleifenquantengravitation wurde nun auf solche kosmologischen Situationen angewendet. Eine Modellrechnung gibt uns jetzt ein Indiz dafür, dass der Urknall nicht stattgefunden haben könnte. Nach dieser Rechnung könnte es nachweisbare Effekte der Theorie der Schleifenquantengravitation geben. Das wäre eine spektakuläres Ergebnis. Der Urknall soll nicht stattgefunden haben? Ein Teil der Theorie besagt, es gab keinen Anfang von Raum und Zeit, sie sind unendlich, auch in die Vergangenheit hinein, nicht nur in die Zukunft. Das wäre erst einmal nur eine Spekulation. Es könnte nun aber sein, dass sich Quantengravitationseffekte, die für das Vorhandensein oder Nichtvorhandenseins des Urknalls eine entscheidende Rolle spielen, in der kosmologischen Hintergrundstrahlung nachweisen lassen. Welche Bedeutung hätte es, wenn eine vereinheitlichte Theorie gefunden würde? In der Allgemeinen Relativitätstheorie gibt es beispielsweise so genannte Urknall-Singularitäten, an denen die Einstein-Gleichungen zusammenbrechen. In der Quantenmechanik gibt es ähnliche Singularitäts-Probleme. In einer umfassenden, vollständigen Theorie würden solche Divergenzen nicht mehr vorhanden sein. Das wird von manchen Physikern als die Suche nach der Weltformel beziehungsweise dem Heiligen Gral der Physik bezeichnet. Und wenn die Grundpfeiler der Physik nicht zusammenpassen, weil einer von ihnen grundlegend falsch ist? Das ist im Prinzip ausgeschlossen. In den Einstein-Gleichungen stehen beide Bestandteile, Materie und Geometrie drin. Wir wissen aus den Versuchen des Cern-Beschleunigers beispielsweise, dass die Materie durch die Quantenmechanik sehr gut beschrieben wird. Es geht einfach nicht, dass die Quantenmechanik auf der einen Seite etwas beschreibt, wo auf der anderen Seite nicht die Quantenmechanik steht. Das wäre wie wenn man sagen würde, null ist gleich eins. Bei der Schleifenquantengravitation geht es um Schleifen? Tatsächlich. Angenommen wir sprechen über ein Blatt Papier. Nach dieser Theorie muss man sich das Blatt als ein Gewebe von Schleifen vorstellen, also von Ringen, die miteinander verknotet und verkettet sind. Man bräuchte etwa zehn hoch 64 solcher Schleifen, um ein Blatt Papier auszufüllen, das ist eine Eins mit 64 Nullen! Diese Ringe beschreiben Orte und Längen auf denen man Geometrie messen kann. Auf den Schleifen ist auch Materie konzentriert, das Papier besteht ja nicht aus Nichts sondern aus Atomen, Molekülen und so weiter. Diese Teilchen sind auch auf den Schleifen lokalisiert. Die Schleifen sind kleiner als ein Elektron. Wesentlich kleiner, wir sprechen von 23 Nachkomma-Stellen unter der Größe eines Elektrons. Wenn sich die Theorie bestätigen sollte dann müssten man alle Lehrbücher umschreiben. Aber nicht nur die der Physik. Wir haben uns damit abgefunden, dass Raum und Zeit einen Ursprung hatten, die Vorstellung des Urknalls wird akzeptiert. Wenn das wegfällt, hätte das auch theologische Konsequenzen. Inwiefern? Der Mensch sucht seit jeher seinen Ursprung. Wenn es keinen Urknall gegeben haben sollte, dann hätte es keinen ausgezeichneten Ursprung gegeben. Das würde Theologen und Philosophen vor ein völlig neues Weltbild stellen. Wie könnte man sich ein Universum ohne Urknall vorstellen? Es gibt mehrere Möglichkeiten, etwa ein oszillierendes Universum, das vom größten zum kleinsten Radius immerzu hin- und herschwingt. Es könnte aber auch sein, dass es in unendlicher Vergangenheit unendlich groß war und irgendwann zum kleinsten Punkt zusammenlief, um wieder unendlich groß zu werden. Das lässt sich im Moment nicht beantworten. Woran arbeiten Sie derzeit? Ich arbeite an der Schleifenquantengravitation. Das ist nach der Stringtheorie der am stärksten vertreten Zugang. Von den 150 Teilnehmer der diesjährigen LOOPS-Tagung arbeiten rund 130 an der Schleifenquantengravitation, weltweit sind es um die 300 Leute. Es ist ein wachsender Bereich, vergangenes Jahr in Marseille waren wir noch 100 Konferenz-Teilnehmer. Was war Ihre Motivation, sich mit dem innersten Zusammenhalt der Welt auseinander zusetzen? Diese Frage hat mich schon mit 16 oder 17 Jahren beschäftigt. Physik hat mich schon immer fasziniert. Mich hat immer die härteste Fragestellung interessiert, ich wollte wissen, was der Heilige Gral ist. Wenn man „Spektrum der Wissenschaft“ liest, weiß man erst einmal, was interessant ist. Dazu braucht man am Anfang noch keine physikalischen Gleichungen zu lösen. Später steht das dann aber im Mittelpunkt der Arbeit. Ihre Arbeit hat keinen praktischen Nutzen. Wir machen Grundlagenforschung. Aber aus Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie von 1917 haben sich heutzutage auch praktische Konsequenzen ergeben. Man kann hier das Global Positioning System (GPS) nennen, das heute in manchen PKWs zu finden ist. Die Genauigkeit der Positionierung durch dieses System fußt auf der Relativitätstheorie. Auch Grundlagenforschung mündet, wenn auch manchmal erst 90 Jahre später, in praktischen Nutzen. Wenn wir keine Grundlagenforschung beitreiben entledigen wir uns dem Fortschritt, den unsere Kinder einmal haben werden. Das Gespräch führte Jan Kixmüller Thomas Thiemann (37) ist Professor am Bereich Quantengravitation des Max-Planck- Instituts für Gravitationsphysik Golm. Die LOOPS-Konferenz wurde von ihm organisiert.
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