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Landeshauptstadt: Mottenkugeln und Käse als Objekt der Begierde

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Von Gabriele Hohenstein „Was treibt einen 70-Jährigen, zum Ladendieb zu werden?“, stöhnt Amtsrichterin Waltraud Heep entnervt. „Es ist unfassbar!“ Der ältere Herr auf der Anklagebank schaut eisern zu Boden. „Ich schäme mich“, meint er kaum hörbar. „Zumal ich wirklich kein Motiv hatte.“ Der Staatsanwalt wirft Manfred K. vor, zur Mittagszeit des 14. Mai 2003 aus dem „Kaufland“ Käse, Mottenkugeln, Insektenspray und eine Glückwunschkarte im Gesamtwert von 28 Euro gestohlen zu haben. Nun muss sich der Rentner im beschleunigten Verfahren für sein Tun verantworten. Nur langsam hebt er den Blick. „Es war eine Handlung, die eigentlich gar nicht zu mir passt“, schätzt der betagte Langfinger ein. „Ich habe bisher noch nie in meinem Leben jemandem etwas weggenommen.“ In der Tat ist Manfred K. bislang nicht vorbestraft, wie ein Blick in seinen Bundeszentralregister-Auszug beweist. „So soll es auch bleiben“, befindet die Vorsitzende und regt an, das Verfahren gegen Zahlung einer Geldbuße von 200 Euro an die Staatskasse einzustellen. „Ein kleiner Denkzettel muss schon sein“, erklärt die Richterin. „Aber danach kräht kein Hahn mehr nach Ihrer Verfehlung.“ Der Senior ist beglückt. Er verlässt den Verhandlungssaal mit einem herzlichen Dankeschön. Hertha S. (82) kann zu ihrem Prozess wegen Unfallflucht aus gesundheitlichen Gründen nicht erscheinen. Sie muss ihre Wohnung demnächst mit einem Platz im Pflegeheim tauschen. „Am 25. Oktober vorigen Jahres war meine Mandantin aber noch im Vollbesitz all ihrer Kräfte“, betont die Verteidigerin. „Deshalb glaube ich ihr, dass sie den Anstoß beim Ausparken wirklich nicht bemerkt hat. Sonst hätte sie ihren Wagen nicht stehen lassen und wäre in aller Seelenruhe einkaufen gegangen.“ Die Rentnerin solle nicht kriminalisiert und vor Gericht gezerrt werden, zumal sie inzwischen kein Auto mehr besäße und bereit sei, ihre Fahrerlaubnis freiwillig herauszugeben, so die Anwältin. „Frau S. ist 60 Jahre lang unfallfrei gefahren und leidet sehr unter dem Vorwurf, den ihr die Staatsanwaltschaft macht.“ „Von der Angeklagten ging eine konkrete Gefährdung aus“, grollt der Vertreter der Ermittlungsbehörde. Die könne man nicht so einfach unter den Tisch kehren. Das sieht das Gericht unter Vorsitz von Kerstin Devriel ebenso. „In einem zu hohen Alter sollte man langsam einmal mit dem Autofahren aufhören. Es ist normal, dass die Leute dann nicht mehr besonders gut hören können“, kommentiert sie, ist allerdings bereit, das Verfahren im konkreten Fall einzustellen. Allerdings muss die alte Dame ihre Fahrerlaubnis mit einer Verzichtserklärung binnen zwei Wochen an das Amtsgericht schicken. „Die Sache wird verwaltungstechnisch gelöst“, erläutert die Vorsitzende. „Sobald die Fahrerlaubnis bei uns eingetroffen ist, wird sie an die Führerscheinstelle weiter geleitet.“

Gabriele Hohenstein

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