Landeshauptstadt: Musste man Potsdam zerstören?
Dr. Joanne McNally: Neue Aspekte über Churchills Haltung zum Bombenangriff vom 14. April 1945
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Dr. Joanne McNally: Neue Aspekte über Churchills Haltung zum Bombenangriff vom 14. April 1945 Von Erhart Hohenstein „What was the point of going and blowing down Potsdam?“ – „Musste man Potsdam anfliegen und es zerstören?“ Diese berühmte Frage Churchills nach dem Grund des englischen Bombenangriffs vom 14. April 1945 hat Dr. Joanne McNally in den „Prime minister''s minutes“, den Protokollaufzeichnungen über die Kabinettssitzungen, wiedergefunden. Die Protokolle lagen unter Verschluss und wurden erst 2002 für wissenschaftliche Forschungen freigegeben. Die englische Germanistin hat sie für eine Arbeit über die letzten Kriegsjahre durchgesehen, in der sie der Frage nachgeht, wie die fehlende oder mangelnde Kommunikation unter den Kriegsgegnern, aber auch den Verbündeten, zwischen Regierung und Volk zur Ausweitung und Verlängerung des Massensmordens beigetragen hat. Darüber schreibt sie ein Buch unter dem Arbeitstitel „Marschieren ohne zu wissen“. Das Flächenbombardement Potsdams und anderer deutscher Städte zählt nicht zum Forschungsgegenstand, doch hat Joanne McNally die dazu in den „minutes“ enthaltenen Angaben mit Interesse gelesen. Die Engländerin ist der Stadt an der Havel seit Jahren verbunden. Bereits 1991/92 nahm sie die Zusammenarbeit mit der Universität Potsdam auf, als sie im Rahmen eines Erasmus-Lingua-Programms einen Austausch von Lehrkräften initiierte und organisierte. Dabei lernte sie auch die Anglistin/Slawistin Dr. Hiltrud Wedde kennen, mit der sie bis heute freundschaftlich verbunden blieb. Im Jahr 2000 vertrat sie die erkrankte Potsdamerin ein Semester lang. In diesen Tagen ist Joan McNally erneut hier zu Gast, um in Archiven weitere Quellen für ihr Buch zu recherchieren. Dabei hat sie mit ihrer Gastgeberin auch die Funde in den Kabinettsprotokollen diskutiert. Daraus geht hervor, dass die moralische Berechtigung der Flächenbombardements, die auch in England nicht unumstritten war, Churchill wohl früher und stärker beschäftigt hat als bisher angenommen. Bisher gilt er für das Jahr 1944 als uneingeschränkter Befürworter dieser Luftangriffe. Laut den „minutes“ äußerte er sich am 1. Oktober 1944 zur Forderung des Oberkommandierenden der Bomberstreitkräfte Arthur Harris, nach einer Pause die Operation „Thunderclap“ (Donnerschlag) gegen deutsche Städte wieder aufzunehmen. Aus der Formulierung: „Ich bin mir sicher, dass er Recht hat, zum großen Teil“ werden die Unsicherheit und die Zweifel des Premiers deutlich. Seine Zustimmung brachte dann aber auch Potsdam auf die Liste der Angriffsziele und führte zum Inferno des 14. April 1945. Joanne McNally hat in den Protokollen mehrere Hinweise gefunden, dass es Churchill in erster Linie um eine schnelle Beendigung des Krieges ging. Es war von ihm schon für Ende 1944 erwartet worden, und im Januar 1945 fragt er erneut die Militärs: „Können Sie mir einen Termin des Kriegsendes nennen?“ Offensichtlich war er sich nicht sicher, ob die Luftangriffe auf deutsche Städte, die die Bevölkerung demoralisieren und ihre Widerstandskraft brechen sollten, dazu beitragen konnten. Dass Churchill, wie in Veröffentlichungen zu lesen, mit der am 28. März ausgesprochenen Aufforderung zur Einschränkung der Flächenbombardements und deren Beendigung nach dem Angriff auf Potsdam seine Haltung ins Gegenteil verkehrt habe, erscheint deshalb nicht schlüssig. Dr. Joanne Mc Nally wird den heutigen 14. April in Berlin und Potsdam verbringen. Die Germanistin ist ein Beispiel dafür, dass die einstige Gegnerschaft zwischen Engländern und Deutschen durch Zusammenarbeit und wie in ihrem Fall auch durch freundschaftliche persönliche Beziehungen abgelöst worden ist. Sie befürwortet, dass beim Wiederaufbau der Garnisonkirche durch eine Nachbildung des Nagelkreuzes von Coventry, das bei einem deutschen Luftangriff schwer getroffen wurde, ein Zeichen der Versöhnung gesetzt werden soll.
Erhart Hohenstein
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