
© A. Klaer
Landeshauptstadt: Nach 60 Jahren zurück an die Tafel
Im Humboldt-Gymnasium bekam der Abiturjahrgang 1951 gestern seine „diamantenen“ Abizeugnisse
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Teltower Vorstadt - Das Gefühl ist sofort wieder da: Das Schulklingeln, die Bänke, die Stühle, die Tafel und der feine weiße Kreidestaub auf dem Boden. 60 Jahre ist es her, dass Irmgard Mickisch an der Potsdamer Humboldt-Schule, damals noch in der Lindenstraße, ihr Abitur abgelegt hat. Doch Alter spielt keine Rolle: Als es heißt „ab an die Tafel“, springt die bald 80-Jährige wie ein junger Hüpfer von ihrem rot lackierten Schulstuhl und tippelt vor zur Zeugnisausgabe. Sie macht einen Knicks nach rechts, einen nach links, dann hält sie ihr „diamantenes“ Abizeugnis endlich in den Händen.
Im Potsdamer Humboldt-Gymnasium erhielten gestern sechs ehemalige Schüler des Abschlussjahrgangs 1951 anlässlich des 60-jährigen Jubiläums ihrer bestandenen Abiturprüfungen neue Zeugnisse überreicht. Schüler der 10. Klasse, einige frischgebackene Abiturienten und Schulleiterin Carola Gnadt hatten die Rentner eingeladen. Für Schulleiterin Gnadt war der Besuch des Jahrgangs ’51 eine besondere Ehre. „Es kommt nicht oft vor, dass wir nach 60 Jahren noch einmal Abizeugnisse überreichen“, sagte sie.
„Es fühlt sich merkwürdig an, aber auch schön“, sagt Sonja Schnitzler, als sie es sich nach so langer Zeit wieder auf der Schulbank bequem gemacht hat. Man fühle sich zwar nicht jünger, aber könne wunderbar in Nostalgie schwelgen, erklärt die 78-Jährige. Nach ihrem Abitur ist sie Lektorin geworden. Sie hat ein zufriedenes Lächeln im Gesicht, als sie mit der 59 Jahre jüngeren Nicole Durschinski ins Gespräch kommt.
Die junge Blondine hat gerade ihre Prüfungen am Humboldt-Gymnasium abgelegt, auch in Deutsch, so wie Frau Schnitzler. Galt es 1951, ein Stalin-Zitat zu erörtern, mussten die Abiturienten von heute Sonette von Ulla Hahn vergleichen. Was die Schülerin denn nun vorhabe, wollten die sechs ergrauten ehemaligen Klassenkameraden erfahren. Ob sie der Unterricht eines Lehrers so gepackt habe, dass sie in diesem Fach studieren wolle, fragte sie der frühere Hochschullehrer Claus Montag. Eine schwierige Frage: „Es gibt viele, die noch nicht wissen, was sie machen sollen“, antwortete Durschinski. Die 19-Jährige will Fluglotsin werden.
Von den damals 32 Abiturienten leben heute noch 20. Erst ein Jahr vor ihren Abiprüfungen seien sie aus verschiedenen Schulen Potsdams an die Humboldt- Schule gekommen. „Wir waren nur acht Jungs“, erzählt Ulrich Freitag. „Wir haben hinten gesessen und die Mädchen vorn.“ Es war eine schöne Zeit, aber auch hart. Zum Teil kam er nach dem Krieg barfuß zur Schule. Überall wurde gespart, erzählt Schnitzler. „Ich habe mir eine klitzekleine Handschrift angewöhnt, damit das Papier reicht.“ Statt in Informatik wurde sie noch im Fach „Nadelarbeit“ geschult. „Da mussten auch die Jungs ran“, erzählt sie. Tobias Reichelt
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