Potsdam: Nachtstreife
Braucht Potsdam nachts Bürgerpatrouillen? Peter Schultheiß meint ja. Wir sind mit dem ehemaligen Polizeichef in einer Potsdamer Nacht vorausgegangen
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Es fing in dieser Nacht an zu schneien, ganz feiner Schnee, den man kaum bemerkte, der eher wie Nebel in der Luft hing und auf den Straßen einen feinen, glitzernden Film hinterließ. Potsdam war, wie es sich für eine Nacht in der Woche gehörte, wie ausgestorben. Ab und zu ein paar Fußabdrücke in der hauchdünnen Schneedecke, kaum erkennbar im orange schimmernden Licht der Straßenlaternen. Die Menschen dazu schienen aber von der Dunkelheit verschluckt zu sein. Ein einzelnes Auto kommt angefahren, ein Mercedes-Benz, das einzige Auto weit und breit – darin sitzt Peter Schultheiß. Er parkt, steigt aus – und strahlt. Schultheiß hat ein einnehmendes Lächeln, ein Siegerlächeln irgendwie, aber mit der Ausstrahlung einer großväterlichen Gutmütigkeit. Mit seiner randlosen Brille und der großen Nase strahlt er eine Seriosität aus, dass man sich von ihm gern die Vorzüge eines guten Rotweins erklären lassen würde. Aber Schultheiß bietet keinen Wein an – sondern Sicherheit.
„Wenn Sie Verbrecher sehen wollen, müssen wir uns aber verstecken“, sagt Schultheiß, Jahrgang 1942, pensionierter Polizist und Fraktionschef der Potsdamer Demokraten, während er von der beleuchteten Brandenburger Straße in die dunklere Lindenstraße späht. Vor einem Dönerimbiss ganz plötzlich ein Mensch: „Jetzt gucken wir uns mal den hier an. Der macht die Scheibe sauber!“ Schultheiß steuert auf ihn zu, stellt sich neben ihn und mustert ihn interessiert. Dann läuft er doch weiter. Nein, ein Verbrecher scheint das nicht zu sein. Wir haben uns mit Peter Schultheiß verabredet, um auf Streife durch die Innenstadt zu gehen. Es soll mittlerweile mehr Kriminalität geben, die Zahl der Einbrüche – besonders auch in Läden und Büros in der Innenstadt ist gestiegen. Schultheiß möchte die Händler schützen. Und er hat auch schon eine Idee.
Denkt man an pensionierte Kriminalkommissare, dann denkt man automatisch an Horst Schimanski, den TV-Rottweiler von Duisburg, der als kerniger Prügelknabe in seinen Straßen für Ruhe und Ordnung sorgt. Schultheiß ist eher das Gegenteil, gegen Götz George wirkt er wie Günter Pfitzmann in „Praxis Bülowbogen“. Sicherheit strahlt man nicht durch aggressives Auftreten aus, das weiß Schultheiß genau. „Wir sind ja hier eher ländlich strukturiert, das ist nicht Berlin oder Hamburg“, sagt Schultheiß. Er trägt schwarze Lederhandschuhe und eine Jack-Wolfskin-Jacke, das großstädtische Accessoire schlechthin: Es strahlt die große weite Welt aus, Abenteuer, Freiheit, wird aber irgendwie nur von Stadtmenschen getragen.
Schultheiß kommt gleich zur Sache: „Es geht hier um Sicherheitspartnerschaften“, sagt er, und meint die Idee, die er mit der Fraktion der Potsdamer Demokraten auf den Weg gebracht hat. Es gehe um das subjektive Gefühl der Sicherheit, es gehe um Präsenz: Man brauche eine Patrouille, die man aus Freiwilligen rekrutiert und die – ausgerüstet mit Handy und Taschenlampe – im Bedarfsfall die Polizei dazurufen würde. „Es ist kein Problem, dafür Freiwillige zu finden“, sagt Schultheiß überzeugt. Dann muss er selbst lachen: „Aber vielleicht nicht hier in der Brandenburger Straße.“ Er läuft ein paar Schritte die Brandenburger Straße entlang, deutet nach rechts: „Hier ist übrigens unser Büro. Das der Potsdamer Demokraten.“
Von der Effizienz seiner Sicherheitspartnerschaften ist der ehemalige stellvertretende Polizeipräsident von Potsdam überzeugt: Präsenz wirkt abschreckend, jemand muss da sein, um ein Gefühl der Sicherheit zu vermitteln. „Als in Wilhelmshorst das Asylbewerberheim stand, auf dem Sago-Gelände“, erzählt er, „hat sich auch eine Bürgerwehr zusammengetan, unter der Führung eines Metzgers, das weiß ich noch.“ Da sei jedenfalls ziemlich viel geschehen in der Gegend, die Bürgerwehr wollte sich auch nicht von der Polizei reinreden lassen. Da habe man ihr eine Sicherheitspartnerschaft angeboten – „und die Straftaten sind zurückgegangen“. Elf Jahre ist das jetzt her. „Nun sind Bürgerwehr und Asylbewerberheim harte Worte“, weiß auch Schultheiß. „Wenn sich die Bürger unsicher fühlen, dann müssen sie selbst was machen und nicht nur die Polizei rufen“, erklärt er. Das müssten die Innenstadtbewohner selbstverständlich auch bezahlen. Er könne sich vorstellen, dass zum Beispiel Studenten auf Nachtwache gehen könnten. Die Leute seien wegen der Polizeireform verunsichert, das könne er nachvollziehen. Aber so eine Sicherheitspartnerschaft wäre ja rund um die Uhr da.
1990, also unmittelbar nach der Wende, kam Schultheiß nach Potsdam, aus Bonn, genauer gesagt aus Bad Godesberg. Es war die Aufgabe, die ihn reizte, und es war ganz besonders Potsdam, mit seiner Nähe zu Westberlin. Schlimme Zustände herrschten in der Nachwendezeit, die Polizei löste sich auf, alles musste umstrukturiert werden. Potsdam sah noch ganz anders aus, die Innenstadt war heruntergekommen, nicht so pittoresk herausgeputzt wie jetzt, 20 Jahre später. „Und die Hausbesetzerszene, das war richtig schlimm. Da haben Barrikaden gebrannt.“ Aber irgendwie hat er jetzt auch Verständnis: „Die hatten ja gar nicht so unrecht. Viele Häuser waren völlig zerfallen und standen seit Jahren leer.“
Es ist windstill, beinahe unwirklich ruhig, nur die Schuhe knirschen leise im zarten Schnee. „Und so lange kein Berechtigter auffindbar war, war das noch nicht einmal Hausfriedensbruch.“ Aber bei jeder Räumung sei es zur Eskalation gekommen. „Mein Hauptgegner von damals sitzt heute mit mir in der Stadtverordnetenversammlung“, sagt Schultheiß und lacht leise. „Lutz Boede. Der war aber nicht bösartig, der Bruder.“ Als ob Schultheiß überhaupt Groll gegen irgendjemanden verspüren könnte. Nein, das scheint ausgeschlossen.
Dabei hat Schultheiß in seiner Polizeikarriere viel erlebt, gute Zeiten, schlechte Zeiten. „Das Schlimmste war der Fall Hintze, der Gastwirtssohn, der 1997 in Geltow entführt und nach Tagen tot in einem Erdloch gefunden wurde. „Das waren zwei Russen, die unter falschem Namen eingereist sind, aber auffällig wurden. Vorher hatten sie in Berlin schon einen Geschäftsmann umgebracht.“ Der tragische Ausgang habe ihm lange schwer zu schaffen gemacht, aber er musste irgendwann einsehen, dass er Hintze doch nicht hätte retten können. Das sind durchaus drehbuchreife Geschichten, die Schultheiß auch gern erzählt – man mag ihm gern zuhören, seine Rhetorik wirkt gleichzeitig spannend und beruhigend, ein bisschen wie Käpt’n Blaubär oder Harry Rowohlt. Damals gab es noch kein Internet, es musste kombiniert, Zusammenhänge hergestellt werden. Schultheiß findet es erstaunlich, dass das letztlich bei den NSU-Morden nicht funktioniert habe. Vielleicht hätte die alte Schule ja etwas verhindern können, wer weiß das schon. Oder die berühmte Geschichte mit dem Fragment des Bernsteinzimmers, ein Marmor-Mosaik, das plötzlich auftaucht, der „Spiegel“ wittert eine Wahnsinnsstory, Schultheiß reist als verdeckter Ermittler nach Bremen, gibt sich als Käufer aus; der mysteriöse Unbekannte – „Mister X“ – verschwindet unerkannt, Axel Hilpert und Spiegel-Chef Aust ziehen die Fäden. Jemandem wie Schultheiß muss es doch schwerfallen, als Stadtverordneter für die Sicherheit der Innenstadt-Händler sorgen zu wollen. Oder etwa nicht?
„Kommen Sie mal mit, ich will Ihnen was zeigen!“, sagt Schultheiß und biegt in die Mittelstraße ab. Das Holländische Viertel liegt genauso ruhig da, es ist niemand zu erahnen. Schultheiß steuert auf das „La Leander“ zu. „Was macht das La Leander falsch?“, wundert er sich. „Woanders läuft das doch auch.“ Er guckt durch die Scheibe, innen ist es gut gefüllt, die Besucher starren zurück, es sieht warm aus, angenehm. Hat Schultheiß vor, auf ein Bier einzukehren? Nein, er sieht nur durch die Scheiben und strahlt: „Da sind tatsächlich Leute drin! Da freue ich mich aber.“ Schultheiß kennt die Potsdamer Kneipen allesamt, sogar im Archiv war er schon – und war positiv überrascht. „Bei den Nazis war ich auch schon drin“, sagt er, und meint damit nicht Neonazis, sondern die Hells Angels in der Charlottenstraße, die Zahlenkombination „81“ steht für „HA“, Hells Angels, wird er später erklären, der achte und der erste Buchstabe des Alphabets, ein Zahlenspiel: „Genauso wie die 18 Adolf Hitler bedeuten kann“, weiß Schultheiß. „Ich hab mir da ein Bier bestellt, aber es gab nur Flaschenbier. Die Hausmarke hieß einfach nur 81. Ich habe gefragt, woher das kommt, und sie sagten aus Gießen. Da war ich beruhigt. Gießen liegt im Mittelgebirge, aus Mittelgebirgen kommt immer gutes Bier. Das liegt am Wasser.“ Aber er bevorzuge dann doch ein Frischgezapftes. Und Fassbier gibt es eben nicht mal im Archiv.
„Ich bin stolz auf Potsdam“, sagt Schultheiß, und das meint er ernst, er sagt das im Brustton der Überzeugung. Er meint das neue Potsdam, nicht das Nachwendechaos, die Hausbesetzer, die Stadt ohne historische Mitte. Sicher, es gibt ein Mietenproblem, dafür müsse man eben Wohnraum schaffen. „Was ich jungen Leuten empfehlen kann: Lassen Sie sich von Ihren Eltern eine Eigentumswohnung kaufen! Sie haben etwas zum Wohnen, und man kann das auch noch von der Steuer absetzen. Das kann ich jedem Studenten nur empfehlen.“ Schultheiß will auch gar nicht mehr zurück, auch wenn er das eigentlich vorgehabt habe. „Ich habe mir ein Schiff gekauft und erkunde die Gegend jetzt vom Wasser aus.“ Er wirkt zufrieden, wenn er das sagt, auch wenn der Abend doch nicht erfolgreich war; zumindest was die Verbrecherjagd betrifft: „Wir haben niemanden erwischt. Das tut mir leid.“ Macht nichts, möchte man entgegnen, vielleicht beim nächsten Mal. Irgendwann wird schon jemand in die Falle gehen.
Oliver Dietrich
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