
© Rabensaat
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Eine Ausstellung im Einstein Forum thematisiert das Problem der Selbstkontrolle
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Was der Unterschied zwischen einem Künstler und einer Maus in dem Projekt sei, wollte Armin Chodzinski wissen. Der Künstler hat zu der Ausstellung „Restraining Order – The Art of Self Control“ im Einstein Forum das Video „Alphabetisierung“ beigesteuert. Chodzinski richtete seine Frage an Dan Ariely, den Initiator des Kunstprojektes, der per Skype aus North Carolina zugeschaltet war. Sinngemäß antwortete Ariely, dass die Maus nur passiv sei, wohingegen der Künstler aktiv etwas gestalte.
„Können Künstler Selbstkontrolle reflektieren“, das war die Ausgangsfrage für das Projekt des Amerikaners. So ganz überzeugt ist der Wissenschaftler von der Reflexionsfähigkeit der Künstler nach der Sichtung der Kunst nicht. Chodzinski agiert in dem Video vor einem Vorhang, gelegentlich verkleidet oder in sonderbaren Posen. Er illustriert Begriffe aus dem Alphabet wie beispielsweise B für „Befriedigung“. Der staatlicherseits verordnete Konsumrausch bringe ihm überhaupt keine Befriedigung, deklamiert der Künstler. Obwohl der gesamtgesellschaftliche Reichtum wachse, würden die individuellen Gefahren nicht geringer. Das findet auch Ariely. Alkohol, Drogen und andere Suchtprobleme würden den modernen Menschen Gefahren aussetzen, die denjenigen, denen der Neandertaler ausgesetzt war, mindestens vergleichbar seien. Die Probleme von Fettleibigkeit und Selbstzerstörung durch übermäßigen Konsum zögen sich quer durch alle modernen Gesellschaften. Die Direktorin des Einstein Forums, Susan Neiman, schränkte ein, dass es sich doch eher um Probleme der gut ausgestatteten westlichen Industriestaaten handele, in denen eine wohlgenährte weiße Oberschicht das Sagen habe.
Um das Problem der Selbstkontrolle in einem wissenschaftlichen Versuch plastisch werden zu lassen, hat sich Ariely eine raffinierte Versuchsanordnung ausgedacht. Er hat ein Kind gebeten, sich vor ein Keyboard zu setzen, dieses aber nicht zu berühren. Aus der Zeit, die das Kind still verharrt, zieht er Rückschlüsse auf die Fähigkeit des Kindes zur Selbstbeherrschung. Ariely entwickelt häufiger vergleichbare Szenarien für seine wissenschaftliche Arbeit.
Einigen der Künstler gelingen in der Ausstellung recht überzeugende Beispiele für die Möglichkeit oder Unmöglichkeit der Selbstkontrolle. „Selbstkontrolle ist der Ausschluss all jener Möglichkeiten, die keine Zielsetzung intendieren“, formuliert Carsten Hensel im Katalog zu seinen Zeichnungen, die er im Forum zeigt. Es sind Figuren, die allem Anschein nach im Spannungsfeld zwischen „Aktion und Kontrolle“ zerrissen worden sind. Mit einer Performance illustriert Hensel eindringlich die Grenzen der Selbstkontrolle. Er behängt sich zunächst mit durchsichtigen Bahnen von Klebestreifen, um sich anschließend schwarze Farbstifte und eine Gabel ebenfalls mit Tape an die Finger zu binden. Dann bearbeitet er das Klebeband mit den künstlich verlängerten Extremitäten, was zu einer zittrigen Zeichnung und einer Verknäuelung des Klebebandes führt. Die selbst auferlegten Beschränkungen bei der Ausführung der Handlung offenbaren recht plastisch die Grenzen willensgesteuerten Agierens. Auf den Bildern Christa Panzners steht „Erderwärmung“, „Bewusstseinsstörung“, „Paradiesgarten“ geschrieben. Aus dem Wissen um Missstände wie der Erderwärmung folge noch lange keine konkrete Handlung, schreibt die Künstlerin. In ihren expressiven Zeichnungen, die ein wenig wie „Écriture automatique“, automatisches Schreiben, wirken, gehe es darum, wie eingefahrene Strukturen aufgebrochen werden könnten.
Handlungsmuster zu durchbrechen ist auch die Absicht von Irene Izquierdo und Pantelis Pipergias Analytis mit ihrem Film „Nails“. Das Nägelkauen der Filmemacher sollte aufhören. Deshalb interviewten sie verschiedene Personen zum Thema Fingernägel. Diese offenbaren mehr über den Träger als gemeinhin angenommen. Kopfarbeiter können lange Fingernägel haben, Bauarbeiter nicht. Mit einem desolaten Zustand der Fingernägel werden manche Krankheitsbilder fälschlich assoziiert. Das Experiment gelang, wenigstens während der fünfmonatigen Dauer der Dreharbeiten haben Izquierdo und Analytis nicht an ihren Nägeln gekaut. Richard Rabensaat
Noch bis 26. Juni im Einstein Forum, Am Neuen Markt 7, bitte telefonisch anmelden unter 0331-27178-0.
Richard Rabensaat
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