Landeshauptstadt: Nahverkehr ohne Ticket? Potsdamer Grüne diskutierten über Bus und Tram ohne Fahrscheine. In Tallin funktioniert das bereits
Einfach in Bus oder Tram einsteigen, ohne ein Ticket zu lösen und dann schnell und bequem in einem engmaschigen Liniennetz überall in der Stadt hingelangen – von dieser Vision berichtete der Umweltberater Axel Friedrich auf einer Podiumsdiskussion der Grünen mit etwa 30 Gästen am Dienstagabend. Das Thema treibt auch viele Potsdamer seit Jahren um und fand sich in der Vergangenheit auf vorderen Plätzen im Bürgerhaushalt.
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Einfach in Bus oder Tram einsteigen, ohne ein Ticket zu lösen und dann schnell und bequem in einem engmaschigen Liniennetz überall in der Stadt hingelangen – von dieser Vision berichtete der Umweltberater Axel Friedrich auf einer Podiumsdiskussion der Grünen mit etwa 30 Gästen am Dienstagabend. Das Thema treibt auch viele Potsdamer seit Jahren um und fand sich in der Vergangenheit auf vorderen Plätzen im Bürgerhaushalt. Auch die Linke hatte im vergangenen Jahr einen fahrscheinfreien Nahverkehr gefordert.
Friedrich, ehemaliger Mitarbeiter des Umweltbundesamtes, sagte aber auch, dass das keineswegs bedeute, dass öffentlicher Nahverkehr kostenlos sein könnte. Das hatte der Titel der Podiumsdiskussion im Haus der Natur („Nahverkehr zum Nulltarif? Ist das sinnvoll?“) zwar nahegelegt. Friedrich stellte in seinem Eingangsvortrag jedoch klar: „Das kostet richtig Geld.“ Wenn eine wachsende Stadt ihre Lebensqualität erhalten wolle, müsse sie auf den öffentlichen Verkehr setzen. Das Platzangebot sei begrenzt, verändern könne man nur dessen Nutzung. Es müssten also viele Autofahrer zum Umstieg auf Bus und Bahn bewegt werden. Dazu will Friedrich vor allem beim Preis ansetzen.
Seine Ideen hat der Umweltberater schon in die Planungen der baden-württembergischen Stadt Tübingen für ein sogenanntes Bürgerticket eingebracht – mit Erfolg. Der Rat der 90 000 Einwohner zählenden Universitätsstadt hat das Konzept beschlossen. Jeder Bürger zahlt und kann dafür fahren, so oft er möchte. Pro Kopf liege die kommunale Nahverkehrsabgabe zwischen 100 und 150 Euro im Jahr – und damit deutlich unter den Kosten für herkömmliche Jahrestickets. Dahinter steckt eine Annahme: Wer schon bezahlt hat, fährt auch häufiger mit. Friedrich rechnet mit 30 Prozent mehr Fahrgästen. Die wegfallenden Autofahrten entlasten die Umwelt und Straßen seien leerer. Jährlich werden fünf Prozent der Parkplätze in der Innenstadt entfernt.
Was in Tübingen bevorsteht, ist in anderen Städten schon Realität. So führte die estnische Hauptstadt Tallin zu Jahresbeginn den kostenlosen Nahverkehr für ihre Einwohner ein. Schon im ersten Monat gab es 15 Prozent weniger Autoverkehr in der 400 000 Einwohnerstadt an der Ostsee. Als Nebeneffekt melden zahlreiche Esten einen Hauptwohnsitz in der Stadt an, um in den Genuss der kostenlosen Fahrten zu kommen. Das wiederum sorgt für höhere Einnahmen in der Stadtkasse. Fast 50 Städte weltweit listet die Internetseite www.freepublictransports.com auf, in denen es unterschiedliche Modelle für ticketlosen Nahverkehr gibt, darunter das australische Sydney, Sheffield in England oder das amerikanische Seattle. Nicht mehr dabei ist das italienische Bologna. Dort sei der Nahverkehr einfach aus der Stadtkasse bezahlt worden. Als die Kommune klamm war, brach das System zusammen.
Um das zu verhindern, schlägt Friedrich auch für Potsdam ein Bürgerticket vor. Ähnlich wie in Tübingen rechnet er mit Kosten von gut 100 Euro pro Einwohner im Jahr, um die wegfallenden 19 Millionen Euro Ticketerlöse der Potsdamer Verkehrsbetriebe (Vip) auszugleichen. Was das Ziel angeht, war er sich mit Axel Dörrie aus dem Fachbereich Verkehr in der Stadtverwaltung durchaus einig. Allerdings sah Dörrie den Fahrpreis nicht als Haupthindernis für den Umstieg vom Auto auf Bus oder Bahn. Vielmehr müsse das Angebot des öffentlichen Nahverkehrs verbessert und die Bedingungen für den Autoverkehr erschwert werden. In diesem Punkt stimmte Friedrich zu. Außerdem schlug er einen neuen Namen für den Vip vor: Analog zum Tübinger Modell wäre das dann „PoBus“. mar
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