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Aus dem GERICHTSSAAL: Narkose mit Folgen

Anklage: Fahrlässige Körperverletzung

Stand:

Als Erika E.* (57) im April 2007 in einer Potsdamer Privatklinik an den Füßen operiert werden sollte, kam für sie nur eine Vollnarkose in Frage. Eine Spinalanästhesie, bei der das Betäubungsmittel in den Bereich der Lendenwirbelsäule gespritzt wird, lehnte die Pharmareferentin kategorisch ab. Ebenso wandte sie sich gegen eine Periduralanästhesie (PDA), bei der die Nerven erst nach dem Austritt aus dem Spinalkanal betäubt werden. Schon zweimal hatte die Frau nach Periduralanästhesien an schlimmen Kopfschmerzen als Nebenwirkung dieser Narkoseart gelitten. Das – so die Anklage – soll Michael M.* (56), Facharzt für Anästhesie, gewusst haben. Da eine Vollnarkose aus seiner Sicht ein „unverhältnismäßig hohes Risiko“ für die Patientin, die an chronischer Bronchitis leidet, darstellte, entschied er sich für die PDA. Dabei soll er versehentlich die Duramater – sie ist Teil der harten Hirnhaut, die das Rückenmark einhüllt – durchstoßen haben. Der Narkosearzt soll auch nicht für einen Verschluss durch einen Blutpatch gesorgt haben. Erika E. hatte laut eigener Aussage eine Woche lang rasende Kopfschmerzen.

Gestern saß Michael M. wegen fahrlässiger Körperverletzung auf der Anklagebank des Amtsgerichts. Er verwies auf seine Erfahrung als Anästhesist und die Notwendigkeit, sich für die PDA entschieden zu haben. „Eine Vollnarkose hätte mir finanziell das Dreifache eingebracht. Ich habe nur zum Wohl der Patientin gehandelt“, versicherte der Arzt. Während der Operation sei Erika E. durchaus entspannt gewesen, habe die OP-Mannschaft mit Geschichten aus ihrer Vertretertätigkeit des Potenzmittels Viagra unterhalten. „Eine nichtgewollte Verletzung der Hirnhaut gehört zu den klassischen Komplikationen der Periduralanästhesie“, betonte der Angeklagte. Den Verschluss mit einem Blutpatch habe er unterlassen, der er „so etwas noch nie gemacht“ habe.

„Ich hatte panische Angst vor der Operation“, berichtete Erika E. im Zeugenstand. „Um nichts mitzukriegen, wollte ich tief schlafen.“ Dass sich der Anästhesist an ihrem Rücken zu schaffen machte, habe sie vor Aufregung nicht realisiert. „Als ich merkte, dass ich während der OP wach war, habe ich irgendetwas erzählt.“ Später habe ihr Kopf gedröhnt, als wolle er zerspringen.

Die Ärztin, die Erika E. vor der Operation über die Narkoserisiken aufklärte, bestätigte: „Die Patientin bestand auf eine Vollnarkose.“ Wieso sie eine PDA erhielt, wisse sie nicht. Weitere Zeugen, die das Geschehen im Operationssaal erhellen könnten, blieben der Verhandlung fern. Um den Prozess nicht in die Länge zu ziehen, stellte das Gericht das Verfahren gegen Michael M. ein. Allerdings muss er eine Geldbuße von 1500 Euro zahlen. (*Namen geändert.) Hoga

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