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Homepage: Neue Konzepte für alte Wege

In einem Forschungsprojekt haben sich 20 Studenten der Fachhochschule Potsdam Gedanken über den urbanen Verkehr der Zukunft gemacht. Schienen und Kanäle sollen an Bedeutung gewinnen, das S-Bahnnetz könnte für Frachtverkehr genutzt werden

Von Matthias Matern

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Leise soll er sein, umweltfreundlich und doch effizient – der innerstädtische Güterverkehr der Zukunft stellt die Metropolen vor eine enorme Herausforderung. Wie kann die Lebensqualität in den Wohnquartieren verbessert und trotzdem der Nachschub von Verbrauchsgütern gewährleistet werden? Auch die Stadt Berlin feilt seit rund zehn Jahren an einem zukunftsfähigen Mobilitätskonzept. Jährlich werden knapp 23 Millionen Tonnen Waren über die Straßen der Hauptstadt angeliefert. Der Anteil des Lkw-Transporte am gesamten Güterverkehr beträgt derzeit rund 75 Prozent, nur rund zehn Prozent kommen über Schiene und Wasserwege. „Die Gewichtung muss verändert werden. Zu viel Straße führt zu Nutzungskonflikten“, meint auch Mathias Gille, Sprecher der Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. Eine mögliche Lösung haben Potsdamer Studenten entwickelt. So könnte künftig etwa ein Teil des Lieferverkehrs in Berlin über das S-Bahnnetz abgewickelt werden. Zudem könnten Minigüterschiffe den Kanälen der Stadt neue Bedeutung verleihen.

„S-Cargo“ und „Wasserläufer“, so die Namen der beiden Transportinnovationen, sind zwei von insgesamt elf Ergebnissen eines Forschungsprojektes der Fachhochschule Potsdam. Ein gutes halbes Jahr lang haben sich rund 20 Studenten des Fachbereichs Design über den urbanen Verkehr der Zukunft Gedanken gemacht und sowohl für die individuelle Mobilität als auch für den Warentransport neue Ansätze erarbeitet. Mit Unterstützung des Potsdamer Volkswagen Designcenters sind teils visionäre Prototypen entstanden – vom „wartungsarmen Verleihfahrrad“ über iPhone-Apps für den öffentlichen Nahverkehr bis hin zur größenverstellbaren, rollenden Einkaufstasche. Angestoßen hat das Projekt „Stadt.Mobil“ Professor Nils Krüger. „Es ist zu beobachten, dass der automotive Verkehr in den Städten an seine Kapazitätsgrenzen stößt. Lieferwagen halten in der zweiten Reihe und verstopfen zusätzlich die Straßen.“ Nicht ohne Grund hätte London die Mautpflicht eingeführt oder Rom sein Zentrum teils für den Autoverkehr gesperrt, so Krüger. Ihre Ergebnisse haben die Studenten im Frühjahr auf der größten Industriemesse der Welt in Hannover präsentiert. „Die Reaktionen waren extrem positiv“, freut sich Krüger. „Wir haben bereits eine Anfrage von einem skandinavischen Logistikunternehmen.“

Nach ihrem Ausflug nach Hannover stehen die beiden Modelle „S-Cargo“ und „Wasserläufer“ derzeit wieder gut verpackt in den Räumen der Potsdamer Fachhochschule. Beide Prototypen eint der Anspruch, Lkw und Lieferwagen als Verkehrsmittel für die Feinverteilung von Waren innerhalb einer Stadt abzulösen. Beim „Wasserläufer“ etwa handelt es sich um ein kleines, dieselgetriebenes Verladeboot in Katamaran-Bauweise, das zudem mit einem Hydraulikkran ausgestattet ist. Zwischen den beiden Bootsrümpfen kann der „Wasserläufer“ eine schwimmende Ladefläche ohne Eigenantrieb aufnehmen, die mit bis zu 30 Frachtboxen bestückt werden kann. „Die Waren werden in den großen Häfen Berlins aufgenommen und dann vom Wasserläufer über die Kanäle zum Zielort im Stadtzentrum gebracht“, erläutert Alexander Schubert, der zusammen mit seinen Kommilitonen Martin Wierschke und Gregor Steblau das Minigüterschiff entwickelt hat. Aufgrund seiner vier gegenläufigen Strahlruderantriebe sei der „Wasserläufer“ in den schmalen Kanälen extrem manövrierfähig. Extra Anlegestellen bräuchte man nicht. „Überall dort, wo es einen befestigten Uferbereich gibt, könnten die Frachtboxen mit dem Hebekran an Land gestellt werden und dann vom Empfänger abgeholt werden. Anbieten würden sich zum Beispiel die Anlegestellen der Ausflugsdampfer“, meint der 23-Jährige.

„S-Cargo“ dagegen nutzt ein Verkehrsmittel, das ohnehin im Zehn-Minutentakt durch die City saust – zumindest laut Fahrplan. Fast in beliebiger Zahl lassen sich die Minischienenfahrzeuge an einen S-Bahnzug koppeln. Auf jede Einheit, die zudem über einen eigenen Elektroantrieb verfügt, passt ein genormter Paketcontainer, der mehrere Sendungen fasst. „An vielen S-Bahnhöfen der Stadt gibt es Abstellgleise. Dort könnten die S-Cargo-Waggons geparkt und die Lieferungen verteilt werden“, schildert Jan Wielert das Konzept. Zusammen mit seinem Projektpartner André Ostrowski hat Wielert zudem einen kleinen Elektrotransporter entworfen, der die Container passgenau aufnehmen kann und die einzelnen Sendungen zu den jeweiligen Empfängern in der Nähe bringt. Ein während der Fahrt auf dem Schienennetz aufgeladener Akku im Paketcontainer sorgt für die Energieversorgung des Straßenfahrzeuges. Die wiederaufladbare Batterie des Transporters ist lediglich für Leerfahrten ausgelegt.

Vorhandene Schienennetze im Innenstadtbereich zu nutzen ist indes nicht neu. In Dresden etwa pendelt die Güterstraßenbahn „GoCarTram“ zwischen dem Logistikzentrum am Bahnhof Dresden-Friedrichstadt und der Gläsernen Manufaktur von Volkswagen. Finanziert wird die Bahn vom Automobilkonzern selbst. Der Vorteil des Potsdamer „S-Cargo“-Systems gegenüber der Dresdner „GoCarTram“ liegt jedoch auf der Hand: Individueller Personennahverkehr und Warentransport werden in einem Verbund ermöglicht.

In Berlin sieht Mathias Gille von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung trotzdem kaum Chancen für den Gleis-Transporter aus Potsdam. „Das Be- und Entladen wird sich nur schwer mit dem Takt der Personenwaggons koordinieren lassen“, befürchtet Gille. Die Idee des „Wasserläufers“ findet er interessant. „Es ist durchaus sinnvoll, die verschiedenen Anlegestellen im Stadtgebiet zu nutzen.“

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