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Warum Menschen sich in virtuelle Welten begeben: Computerspiel-Experten tagten an der Universität
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Virtuelle Welten sind längst zu Parallelgesellschaften geworden. Darüber waren sich die Computerspiel-Experten einig, die kürzlich am Institut für Künste und Medien der Uni Potsdam zusammenkamen. Auf einer öffentlichen Diskussion zur künftigen Bedeutung von Onlinewelten im gut besuchten Auditorium Maximum versuchte Richard A. Bartle, der Erfinder der ersten Onlinewelt, den Begriff der sogenannten „Open World-Spiele“ klarer zu fassen. Zum einen gebe es virtuelle Welten, in denen die Designer den Spielern Freiheiten nehmen und sie in ein vorgegebenes Handlungskorsett schnüren. Die Teilnehmer erarbeiten sich dann Belohnungen und erleben auf diese Weise Spaß. Das erfolgreichste Beispiel „World of Warcraft“ hat seit seinem Erscheinen Ende 2004 eine Fangemeinde von über 10 Millionen Nutzern weltweit aufgebaut. „Der Begriff „Open World“ bedeutet hier so viel wie: Jeder kann einsteigen und es ist phantastisch dabei zu sein, erklärte Bartle. In der virtuellen Welt finden Ideen Raum, die in der Realität nicht umsetzbar wären. So kann jemand ein Zauberer sein, sich magische Mäntel überwerfen und Drachen jagen.
Ein anderes Modell, und damit eine andere Bedeutung des Begriffs „Open World“, setzt das „second life“ in die Welt. Hier, so Bartle, wird von den Entwicklern ein Ort vorgegeben, an dem jeder Teilnehmer umsetzen kann, was er möchte, ohne dabei an Grenzen zu stoßen. Der „Bewohner“ dieses virtuellen Ortes wird quasi selbst zum Entwickler.
Die Absichten der Firmen, das zeigte die anschließende Diskussion, zielen eindeutig auf wirtschaftlichen Erfolg. Sie bieten dem Konsumenten eine Welt, die ihm gefällt und in die er über ein Abonnement mit einem monatlichen Betrag von rund 10 € einsteigen kann. Mirko Casper von der Firma Metaversum erklärte ein anderes Modell: In der von seiner Firma erschaffenen Welt „twinity“ erhält der Nutzer eine virtuelle Wohnung, die er selbst gestalten und mit anderen teilen kann. Musik, Filme, Literatur, Urlaubsfotos, sogar das eigene Aussehen, werden in dreidimensionaler Abbildung lebendig. Das alles ist kostenfrei. Dafür gibt es außerhalb der eigenen vier virtuellen Wände die Möglichkeit, gegen Zahlung einer Pacht Läden zu eröffnen und Handel zu treiben. Dirk Weyel, der von einer Marketingfirma kommt, die Spiele vertreibt, sieht Werbemöglichkeiten innerhalb der neuen Onlinewelten und Frank Campbell von der schwedischen Firma Mindark erläuterte, wie sich mit erworbenen Spielgeld Onlinehandel treiben lässt.
Was Menschen motiviert, für oder in einer zweiten Realität Geld auszugeben, erklärten die Experten so: Die Teilnehmer werden in einer Onlinewelt durch einen Avatar, einen virtuellen Helden, repräsentiert. Diesen formen sie nach ihrem Ideal und lassen ihn einen Charakter annehmen, der ihnen gefällt. Richard Bartle beschrieb den folgenden Prozess als eine Art Selbstfindung, denn was während des Interagierens in der Onlinewelt passiere, sei eine gegenseitige Beeinflussung von Teilnehmer und Avatar. Jeder versuche immer mehr wie der andere zu werden, bis man sich im besten Fall in der Mitte trifft und eins wird.
Die damit verbundenen Gefahren, ließen die Diskutanten nicht außer acht. Je mehr Freiheiten man den Menschen lässt, in der virtuellen Welt zu tun, was sie wollen, umso mehr „Unrat“ werde dort anfallen. Die Möglichkeit, eigenes Gedankengut einzuschleusen, könnte zu Manipulation, Sektenbildung, Pornographieverbreitung an Minderjährige und anderen kriminellen Handlungen führen. Dafür sieht Bartle eine Art Polizei vor, die von den Spielentwicklern rekrutiert wird, um die Welt zu überwachen, denn es haben auch dort „klare Regeln“ zu herrschen, wie Mirko Casper meinte.
Marianus Potratz
Marianus Potratz
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