Landeshauptstadt: Neue Töne zum Tag der deutschen Einheit
Die Nikolaikirche, Ort der Bundesfeier zum 3. Oktober, bekommt eine Orgel aus Essen geschenkt
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Die Nikolaikirche, Ort der Bundesfeier zum 3. Oktober, bekommt eine Orgel aus Essen geschenkt Dass die Nikolaikirche Potsdam, das größte Sakralbauwerk Karl Friedrich Schinkels, eine neue Altarorgel erhält, ist für eine Kirche keine ungewöhnliche Meldung – in diesem Falle schon. Denn diese Orgel ist gleichzeitig alt und neu, wird bezahlt und ist doch ein Geschenk. Und sie verkörpert ein Stück klingender deutscher-deutscher Gemeinsamkeit. Und das kam so: Als Pfarrer Stender aus dem nordrhein-westfälischen Essen im vergangenen Sommer Potsdams Nikolaikirche besuchte, erfuhr er, dass sie als einzige Citykirche in Europa über keine große Orgel verfügte. Zufall oder Gottes Fügung – der Kirchendiener war gerade in Essen damit beschäftigt gewesen, für die eigene Orgel einen neuen würdigen Platz zu finden, da das Kirchengebäude geschlossen wird. Schnell ist der Kontakt zwischen den Kirchengemeinden hergestellt. Nikolaikantor Björn O. Wiede fährt nach Essen und ist von dem präzisen Prinzipalklang und der Klangfarbenpalette des mittelgroßen Instrumentes begeistert – „ideal für Gottesdienst und Konzertwerk des 18. und 20. Jahrhunderts zur Aufstellung im Altarraum von St. Nikolai“, schwärmte der Kantor. Im November 2004 reist Orgelbaumeister Joachim Kreienbrink (Osnabrück), der das Instrument in Essen betreut, nach Potsdam. Kreienbrink und Wiede tauschen Zeichnungen aus, schmieden und verwerfen Pläne. Es gibt Schwierigkeiten: Die Aufstellungssituation in Essen entspricht nicht den Potsdamer Aufmaßen. Eine große Tür steht im Wege, das moderne Orgelgehäuse, der Prospekt, würde in der Nikolaikirche störend wirken. Und: Die Orgel aus Essen würde durch ihre Tiefe einen Teil der Rundung des Altarraumes, der Apsis, verstellen, sie muss – irgendwie – schmaler werden. Wenn für diese drei Probleme eine Lösung gefunden werden sollte, fürchtete Wiede, veränderte sich der Finanzrahmen des Projektes deutlich. Es schien, als ob West und Ost nicht so einfach zusammenkommen können. Ein Weiteres kam hinzu: Ende 2004 begannen die Planungen für die Bundesfeiern zum Tag der deutschen Einheit, die 2005 in Potsdam stattfinden werden. Der zentrale Gottesdienst, zu dem der Bundestag, die Regierungen von Bund und Ländern und viele Diplomaten eingeladen sind, wird in der Nikolaikirche stattfinden und bundesweit übertragen. Damit ist das Projekt Altarorgel an zwei Stellen unter Zeitdruck: Die Essener Kirche soll im Frühjahr abgerissen werden und am 3. Oktober muss der Orgelbau bereits abgeschlossen und genügend erprobt sein. Nun beginnen Gespräche auf allen Ebenen. In Potsdam ist nur ein kleiner Kreis eingeweiht. Man möchte keine voreiligen Erwartungen schüren, eine Enttäuschung ersparen. Essen muss entscheiden: Ist das der richtige Ort für unser Instrument, wollen wir den Geschwistern in Potsdam das Instrument auch ohne finanzielle Zusage überlassen? In dieser Phase schreibt die Potsdamer Pfarrerin Susanne Weichenhan einen Brief nach Essen: „Für uns wäre die Übernahme auch eine Krönung deutsch-deutscher Beziehungen über die bewegten Jahrzehnte der Nachkriegsgeschichte hinweg. Die Nikolaikirche hätte ohne die Hilfe der westdeutschen Schwestern und Brüder niemals restauriert werden können; aus dem Sonderbauprogramm wurden damals neun Millionen DM bereitgestellt, um den denkmalgerechten Wiederaufbau zu ermöglichen. Die Dankbarkeit für diese Hilfe wird jedes Jahr beim Kirchweihfest Anfang Mai ausgedrückt.“ Zwei Wochen später dann das ersehnte Okay der westlicheren Kollegen: „Ja, wir wollen Euch helfen, wir freuen uns, dass unsere dann ehemalige Orgel einen so würdigen Platz in einer der bedeutenden deutschen Kirchen bekommt.“ Pfarrer Stender, der am frühen Morgen nach der Sitzung in den Urlaub startet, schickt die Meldung als eilig handgeschriebenes Fax nach Potsdam. Das Gemeindeblatt von St. Nikolai, dessen Herstellung extra noch angehalten wurde, konnte mit dem vorbereiteten Artikel in Druck gehen. Natürlich hätte diese Entscheidung nur positiv ausfallen können, weil zumindest auf dem Papier bereits die Lösung für die aufgeworfenen Probleme skizziert worden sei, ist sich Nikolaikantor Wiede sicher. Jetzt sei die Orgel aus Essen mit ihren 1500 Pfeifen sowie Holzverkleidungen bereits demontiert und vor wenigen Tagen in der 27 Mitarbeiter starken Werkstatt von Baumeister Kreienbrink angekommen. Dort werde das ohnehin zweigeteilte Instrument so umgebaut, dass es künftig stufenförmig aufgestellt werde. Der hintere Teil der Orgel sei dann über einer Höhe von 2,20 Meter versetzt, so dass er die Seitentür zum Altarraum nicht zustelle. Auf diese Weise könne man von der Seite aus hinter dem Instrument entlang gehen. Um in der Tiefe Platz zu sparen, sei der ursprünglich Gang, über den die Stimmung der Pfeifen erfolgte, weggefallen. Darum, erläuterte Wiede, werde die Orgel mit einem einmaligen Schiebe- und Rollsystem versehen, mit dessen Hilfe man einen temporären schmalen Zugang schaffen kann. Das besondere daran: Die Orgel sei auch im verschobenen Zustand bespielbar, damit sie gestimmt werden könne. Auch habe man ein neues Orgelgehäuse entworfen, das sich der Schinkel-Architektur anpasse. Dazu sei auch die Anordnung der vorderen Pfeifenreihe, die ja auch ein Schmuckelement sei, verändert worden. Die klangbildliche Veränderung sei aber nur minimal. Alles in allem werde der Umbau 103000 Euro kosten. Das Geld, so der Kantor, werde nach einem Beschluss des Gemeindekirchenrates vom Februar von der Nikolaikirchgemeinde und einer jetzt anlaufenden Spendenaktion aufgebracht. Für den Spätsommer dieses Jahres sei der Einbau des Instruments in die Nikolaikriche geplant, erläutert Björn O.Wiede den Zeitplan. Kurz vor den Bach-Tagen sollten dann Probeläufe und Generalprobe erfolgen, „damit beim Gottesdienst zum Tag der deutschen Einheit dann alles perfekt läuft“. In Potsdam tröstete jemand indes die Essener um den Verlust: „Hauptsache, das Instrument bleibt in Preußen.“ PNN/NIK
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