POSITION: Neues gefordert
Stadt- und Landesbibliothek braucht eine andere Fassade Von Ludger Brands
Stand:
Alte oder neue Fassade für die Stadt- und Landesbibliothek am Platz der Einheit, diese derzeit diskutierte Frage stellt sich zunächst vor einem anderen Hintergrund. Die Stadt- und Landesbibliothek wird sich mit der Wiedererrichtung des Stadtkanals und der stadtgrundrisslichen Veränderung des die Bibliothek unmittelbar umgebenden Quartiers in einem neuen Kontext wiederfinden. Die Gebäudeflucht des neuen Quartiers am Platz der Einheit wird von der aktuellen Bauflucht zurückweichen und somit in Anlehnung an den historischen Stadtgrundriss eine neue Bebauungsfront am Wasser definieren.
Verändern sich die stadträumlichen Randbedingungen, muss die Frage gestellt werden, welche Konsequenzen daraus für einzelne Gebäude zu ziehen sind, um eine neue harmonische Gesamtsituation herzustellen. Betrachtet man die stadträumliche Gesamtfassung eines Quartieres als prioritäre Ebene mit Leitbildfunktion, also als Rahmen für das Verhalten der Einzelarchitekturen im Kontext, so muss die Position der Stadt- und Landesbibliothek diesem Duktus folgen.
Das bedeutet, dass die aktuelle Front des Gebäudes auf die Linie des künftigen Blockes zurückweichen muss, um eben dieses harmonische Miteinander zu erzielen. Die Neubebauung von Potsdams Mitte ist von so fundamentaler Bedeutung, dass hier Kompromisse deplatziert erscheinen und mit aller Konsequenz und höchstem architektonischen Anspruch alles auf den Prüfstand gestellt werden muss. Auch wird der fragmentarische Erhalt eines Kollonadenmotivs absolut missverständlich sein, denn nur im augenblicklichen Kontext des Fachhochschulgebäudes ist eine Kollonade begreifbar. Mit dem Wechsel der Typologie des Quartiers vom Kollonadenblock zum Straßenfassadenblock (ohne Kollonade) wird sich auch die Typologie des Hauses ändern müssen.
Dann wird sich auch die Frage nach der äußeren Neugestaltung der Fassade stellen, ob in Anlehnung, also im Sinne einer Neuinterpretation des jetzt Vorhandenen oder neu gedacht als städtische Fassade im Verständnis europäischer Stadtbautradition. Das Zurückweichen der Fassade ist gerade basierend auf der Montage-Bauweise des Hauses eine praktikable Lösung, da nur ein Stützenraster entfernt werden müsste. Die bis dato vorliegenden Konzepte sind also alles andere als eine befriedigende Lösung. Dieser Ort verlangt nach einer architektonisch anspruchsvollen Fassung der Stadt- und Landesbibliothek im Zusammenspiel mit dem Ganzen und kann sich mit Verlassen der Gebäudeflucht nicht definieren über eine nicht nachvollziehbare und nicht gerechtfertigte fast autistisch anmutende Solitärhaltung.
Die Europäische Stadtbaukunst war immer geprägt durch Integration und Zusammenspiel des Einzelnen im Ganzen. Diese Qualitäten sind leider zum großen Teil in den vergangenen Jahrzehnten verloren gegangen und müssen wieder erlernt werden. Dieses betrifft insbesondere den baukünstlerischen Umgang mit der künftigen Mitte der Stadt Potsdam in ihrer unterschiedlichen Maßstäblichkeit von Quartier, Block und Haus.
Ludger Brands ist Architekt und Professor an der Potsdam School of Architecture
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