zum Hauptinhalt

Landeshauptstadt: Neues Heim mit weniger „Wohlfühleffekt“

Sanierter Neubau statt Villa: Das AWO-Familienhaus zieht von der Berliner Straße nach Drewitz

Stand:

Berliner Vorstadt / Drewitz - Das Familienhaus zieht um. Das bedeutet für Birgit Hollmann auch, für ein Dutzend Menschen mitzudenken. „Wir lassen uns Zeit, machen Schritt für Schritt“, sagt die Sozialarbeiterin und Leiterin der Einrichtung in Trägerschaft des Bezirksverbands der Arbeiterwohlfahrt (AWO).

Das Haus, das bisher seinen Standort in der Berliner Straße 132 hatte, ist eine Notunterkunft für Familien, die ihre Wohnung verloren haben. Vor allem den Kindern wollte man die Unterbringung im Obdachlosenheim am Lerchensteig ersparen. Darum wurde nach einem Beschluss der Stadtverordnetenversammlung vor acht Jahren das Familienhaus in der Berliner Vorstadt eingerichtet. Der Umzug in die Turmstraße in Drewitz hat zwei Gründe: Zum einen sei die Villa in AWO-Eigentum verwohnt und müsse dringend saniert werden. Rund hundert Familien hätten nach Schätzung der Leiterin Hollmann die Notunterkunft seit Bestehen durchlaufen. Zum anderen seien die einzelnenen Wohnungen in der Berliner Straße zu groß und würden von der Potsdamer Arbeitsgemeinschaft zur Grundsicherung Arbeitssuchender (Paga) nicht mehr als Bleibe der Hartz-IV-Bezieher akzeptiert.

Während die Zwei- bis Drei-Raum- Wohnungen in der Villa zwischen 80 und 140 Quadratmetern maßen, liegen sie im neuen Heim im Schnitt bei 70 Quadratmetern. Neben kleinerem Wohnraum käme in der Turmstraße noch eine weitere Einschränkung hinzu: Die Familien dürfen ihr eigenes Mobiliar nicht mehr mitnehmen. Damit wolle man den „Wohlfühleffekt“ ein wenig mindern, erklärt die Sozialarbeiterin. Das klinge hart, sagt Birgit Hollmann, solle aber den betroffenen Menschen helfen. Das Familienhaus sei schließlich kein Dauerzustand. In maximal einem Jahr Verweildauer sollten seine Bewohner lernen, wieder ohne Rundum-Betreuung zu leben. „Das hat bisher fast immer geklappt“, erklärt die 45-Jährige. So weit ihr bekannt sei, habe erst eine einzige Familie zwei Anläufe benötigt.

Die Gründe für einen Wohnungsverlust seien vielfältig, erklärt die ausgebildete Sozialarbeiterin und -pädagogin. Viele der Probleme müsse sie in ihrem Dienst von Montag bis Freitag auffangen. Ein bisschen mit Sorge bemerke sie, dass sich ihre Klientel stark verjünge. Vor allem alleinerziehende sehr junge Mütter strandeten im Familienhaus. Sie hätten sich von ihrer „Ursprungsfamilie“, also dem eigenen Elternhaus getrennt, es fehlten die Erfahrungsträger. „In solchen Fällen muss ich viele Rollen übernehmen: Mutter, Großmutter, Seelsorgerin“, zählt Birgit Hollmann auf.

Vier Familien mit insgesamt fünf Kindern zögen jetzt in die Turmstraße 55 B und C – ein Gewoba-Objekt, das die AWO angemietet habe. Platz sei hier für 25 Personen, die von einer Sozialarbeiterin betreut würden. „Ein knapper Personalschlüssel“, wie die zuständige Betreuerin kommentiert. Allerdings nutzt sie für ihre Arbeit das breit gefächerte Angebot an Fachdiensten wie Schuldner-, Sucht- und Erziehungsberatung oder auch die ambulante Wohnhilfe. Der Bedarf an Notunterkünften für Familien ohne Obdach sei sicherlich größer als die in der Turmstraße vorgehaltenen sechs Wohnungen. Allerdings, vermutet die Fachfrau, käme man vermutlich nie an den Punkt der Bedarfsdeckung. „So lange freie Plätze vorhanden sind, weist die Stadt auch zu“, erklärt Birgit Hollmann. Seien die Wohnungen belegt, müsse die Verwaltung eben auf andere Hilfsangebote zurückgreifen.

Das Verhältnis der Bewohner im Familienhaus sei laut Hollmann eher solidarisch denn feindschaftlich. Die ähnlichen Schicksale verbänden. Deshalb glaubt sie auch nicht, dass es zu Konflikten mit dem benachbarten Heim für jüdische Kontingentflüchtlinge käme. Sollte es dennoch zu Streitigkeiten kommen, seien genug Betreuer vor Ort, die schlichtend eingreifen könnten. Auch sie sei Tag und Nacht zumindest per Handy erreichbar, sagt Birgit Hollmann. Die Befürchtungen der Anwohner, dass hier ein sozialer Brennpunkt geschaffen werde, teilt sie nicht. „Vielleicht auch, weil ich schon so viele Jahre mit diesen Menschen arbeite“, erklärt sie. Auch hätte Hollmann es begrüßt, wenn – wie vor kurzem vorgeschlagen – hier noch ein Übergangswohnheim für obdachlose Jugendliche unter 25 Jahren eingerichtet worden wäre. „Ich finde es gut, wenn das Jugendamt diese jungen Leute vor dem Leben auf Trebe bewahrt“, sagt die Sozialarbeiterin. Der Jugendhilfeausschuss hat bereits anders entschieden und das Projekt für den Standort Turmstraße abgelehnt. Das bedauert Birgit Hollmann: „Die Jugendlichen hätten gut hier hin gepasst.“

Nicola Klusemann

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })