
© A. Klaer
Potsdam: Neues Zuhause am Birkenwäldchen
Für ihren Sohn Linus und andere Menschen mit Behinderung bauen Babelsberger Eltern ein privates Wohnprojekt. Sieben Wohnungen sollen dort entstehen und an behinderte und nichtbehinderte Menschen vergeben werden.
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Potsdam - Bisher steht nur der Rohbau. Doch demnächst soll die Grube für den Keller ausgehoben werden. Der Bagger dafür ist gerade auf dem Grundstück in der Stahnsdorfer Straße eingetroffen. Immer wieder müssen Linus und sein Vater Friedrich Thomas der großen Baumaschine ausweichen. Zusammen werkeln sie an den Wochenenden an einem neuen Zuhause für den 20-Jährigen. Auch Bruder Theo hilft mit. Gemeinsam wollen sie eine Umgebung schaffen, in der Linus weitgehend selbstständig leben kann, aber dennoch eine optimale Betreuung bekommt. Denn der älteste Sohn von Meike Jacobi und Thomas ist geistig behindert und benötigt Hilfe im Alltag. „Linus steht zwar seit mehreren Jahren auf einigen Wartelisten für betreutes Wohnen in Potsdam, doch das Passende war bisher einfach nicht dabei“, erzählt seine Mutter. Kurzerhand haben Jacobi und Thomas sich entschlossen, die Sache selbst in die Hand zu nehmen.
So viel gesellschaftliche Teilhabe wie möglich
Meike Jacobi will ihrem Sohn so viel gesellschaftliche Teilhabe bieten wie möglich. „Er soll nicht nur Kontakt zu anderen Hilfsbedürftigen, sondern auch zu nicht behinderten Menschen haben“, sagt sie. In einer der größeren Einrichtungen, so fürchtet die Familie, verlöre Linus diese Möglichkeit. Allein in einer eigenen Wohnung mit ambulanter Betreuung würde er hingegen vereinsamen. Linus sei geschickt mit den Händen und arbeite in der Fahrradwerkstatt der Oberlin-Werkstätten auf Hermannswerder, erzählt seine Mutter. Er sei kontaktfreudig und besuche regelmäßig den Circus Montelino im Volkspark Potsdam. „Linus liebt Musik“, sagt Jacobi. Er spiele gerne Gitarre, Klavier und Keyboard. So weit es ihm möglich ist, sei er selbstständig und selbstbestimmt.
In seinem neuen Zuhause wird er künftig Tür an Tür mit anderen behinderten Menschen leben und mit Mietern ohne Einschränkungen. Insgesamt sieben Wohnungen in zwei seperaten Häusern sollen entstehen. Den Innenhof und den Garten können die Bewohner später gemeinsam nutzen. Geplant sind drei Wohnungen für zwei rollstuhlgerechte Wohngemeinschaften mit jeweils drei Hilfsbedürftige und eine Zweier-WG. Die anderen vier geplanten Wohnungen sollen an nicht behinderte Menschen vermietet werden. Der alte Wintergarten, ein Überbleibsel des 1850 gebauten Restaurants, soll renoviert und ein Spiele- und Begegnungsraum werden. Seit 2015 läuft die Planung, im Oktober 2016 begannen die Bauarbeiten. Früher stand an der Stelle einmal das Restaurant „Zum Birkenwäldchen“. Das anliegende kleine Waldstück war auch der Namenspate für das Wohnkonzept: Hofgemeinschaft am Birkenwäldchen.
Die Familie trägt die Baukosten alleine
Der Bau ist für die Familie eine erhebliche finanzielle Belastung, denn die Kosten tragen sie bislang alleine. Allerdings werden Jacobi und Thomas bei ihrem Projekt schon seit Längerem von der Theodor Fliedner Stiftung unterstützt. Diese gehört zur Diakonie in Deutschland und engagiert sich bundesweit unter anderem in der Altenpflege und der Hilfe und Betreuung von Menschen mit Behinderung. „Die Stiftung hilft uns zum Beispiel bei den finanziellen und rechtlichen Fragen“, so Jacobi.
Langfristig sollen die Kosten für den Grundstückskauf und die Bauarbeiten durch die Vermietung abgedeckt werden, erzählen Linus’ Eltern. Die Mieten der anderen behinderten Mitbewohner sollen als Teil der Grundsicherung von der Stadt übernommen werden. Die Abstimmung mit der Verwaltung läuft. Bei Gesprächen im Vorfeld der Projektplanung sei die Stadt angetan gewesen von der geplanten Hofgemeinschaft, sagte Thomas. „Wir haben ein gutes Gefühl dabei.“ Die Stiftung plane darüber hinaus ein komplexes Finanzierungskonzept für die Hilfe im Alltag. Dazu gehöre auch ein Antrag bei der Aktion Mensch für einen Koordinator, der die Bewohner in der Anfangszeit in ihrer neuen Umgebung unterstützen und Kontakte für Angebote in der Nachbarschaft knüpfen soll.
Die künftigen Mitbewohner sollten kontaktfreudig und aufgeschlossen sein
Im Frühjahr 2018 soll das Wohnprojekt in der Stahnsdorfer Straße fertig sein. Wer dann dort mit Linus einziehen wird, ist noch unklar. Die künftigen Mitbewohner sollten möglichst sympathisch, aufgeschlossen und kontaktfreudig sein, sagt seine Mutter. Die Mitbewohner müssten es auch akzeptieren, dass Linus vielleicht mal einfach unangekündigt die Wohnungstür aufmache. Grundsätzlich könnten sie sich auch eine Studenten-WG vorstellen, sagen Meike Jacobi und Friedrich Thomas.
Derzeit lebt Linus noch in der Wohnung seiner Eltern. Der 20-Jährige kann nicht lesen und ist für Fremde schlecht zu verstehen. Für Linus seien alle Abweichungen von seinem gewohnten Alltag schwierig, so Jacobi. „Dann ist seine Sicherheit weg.“ Auch mit seinem baldigen Auszug wolle sich Linus noch nicht so richtig beschäftigen. „Das kommt sicherlich noch mit der Zeit“, meint seine Mutter. Aber mittlerweile spreche er schon von seinem Haus, ist sie zuversichtlich.
Sarah Stoffers
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