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Obdachlosigkeit im Stadtbild. Zwei Wohnungslose haben derzeit ihr Lager unter der Trambrücke neben der Langen Brücke aufgeschlagen.

© Andreas Klaer

POTSDAMER WOHNUNGSMARKT: Nicht arbeits-, aber obdachlos

Immer mehr Potsdamer finden trotz Beschäftigung keine Wohnung – weil sie zu wenig verdienen.

Von Peer Straube

Stand:

Der zunehmende Druck auf dem Potsdamer Wohnungsmarkt drängt immer mehr Geringverdiener ins soziale Abseits. Den PNN wurden jetzt zwei Fälle bekannt, bei denen die Betroffenen im Obdachlosenheim der Arbeiterwohlfahrt (Awo) im Lerchensteig leben müssen. Die beiden Männer haben zwar Arbeit, finden nach eigenem Bekunden aber keine für sie bezahlbare Wohnung in der Stadt. Die Betroffenen wollen jedoch anonym bleiben.

Die Situation hat auch die Awo alarmiert. „Es gibt einen Trend zur zunehmenden Obdachlosigkeit“, sagte Awo-Bezirksverbandschefin Angela Basekow auf PNN-Anfrage. Ursache sei der große Druck auf dem hiesigen Wohnungsmarkt. Wer aufgrund geringen Verdienstes oder Zahlungsschwierigkeiten mit der Miete im Rückstand ist, werde schneller vor die Tür gesetzt: Vermieter setzten die Zwangsräumungen inzwischen „konsequenter durch“ und reagierten damit auf den „knapper werdenden Wohnungsmarkt“, erklärte Basekow.

Erwerbstätigkeit und Wohnungs- oder Obdachlosigkeit schlössen einander nicht mehr aus, so die Awo-Bezirksverbandschefin. Oft hätten die Betroffenen eine Reihe finanzieller Probleme, die Vermieter zögern ließen, ihnen eine Wohnung zu geben. Beispiele dafür seien etwa fehlende Mietschuldenfreiheitsnachweise, negative Schufa-Einträge oder laufende Insolvenzen. Das Obdachlosenheim im Lerchensteig ist derzeit fast voll: Von den insgesamt 125 Plätzen sind laut Awo derzeit 121 belegt, 91 Bewohner sind über 30 Jahre alt, der Rest ist jünger. Die Zahl ist gegenüber 2011 deutlich gestiegen: Zum Stichtag 30. Juni waren dort nur 107 Obdachlose untergebracht.

Mit der Ambulanten Wohnhilfe hat die Awo bereits ein Prophylaxe-Team gebildet, um Fälle drohender Wohnungslosigkeit abzuwenden. In enger Zusammenarbeit mit der städtischen Baugesellschaft Pro Potsdam werde versucht, konkret Hilfe zu leisten, sagte Basekow. Die jeweiligen Angebote richteten sich nach den jeweiligen Problemlagen der Menschen, etwa Mietschulden, Zwangsräumungen, vorhergehende Haft oder stationäre Therapie sowie soziale Kompetenzen. Auch mit dem Wohnungsamt der Stadt, dem Jobcenter und der Wohnungswirtschaft werde kooperiert, so Basekow.

Abgesehen von den Bewohnern des Heims im Lerchensteig gehören Obdachlose auch in Potsdam immer mehr zum Stadtbild: So haben aktuell zwei Wohnungslose ihr Lager unter der Trambrücke neben der Langen Brücke aufgeschlagen. Andere suchen sich Quartiere in leer stehenden Privatgebäuden, etwa den denkmalgeschützten Hallen des ehemaligen RAW-Geländes, die dem Bauunternehmen Semmelhaack gehören.

Eine genaue Statistik zur Zahl der Obdachlosen gibt es in der Landeshauptstadt nicht. Die letzten Schätzungen gehen von etwa 200 Wohnungslosen aus, die nicht selten aus Scham ihre Situation nicht publik machen wollen. So hatte zuletzt auch der Stadtjugendring vor verdeckter Obdachlosigkeit gewarnt. Dem Verein würden nach eigenen Angaben jährlich 20 Fälle junger Potsdamer bekannt, die keine Wohnung fänden und sich daher wechselnd bei Freunden einquartieren. Oft gäben diese jungen Menschen aus Geldnot sogar ihre Ausbildung auf. Erst vor Monatsfrist waren in Potsdam wie berichtet 2600 Menschen auf die Straße gegangen, um gegen steigende Mieten in der Landeshauptstadt zu demonstrieren.

Als kritischer Wert gilt in Potsdam eine Nettokaltmiete von 5,50 Euro. Das ist der Satz, der auch für Hartz-IV-Empfänger maximal als angemessen eingestuft wird. Von den 16 357 Wohnungen der kommunalen Pro Potsdam werden nach Unternehmensangaben knapp 9000 unterhalb dieses Wertes vermietet. (mit HK)

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