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KulTOUR: Nicht Machwerk, sondern blanke Vernunft

„Alles muss raus“ im Kunsthof Glindow: Am Ende hatte Matthias Machwerk den Hals frei und das Publikum auf seiner Seite

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KulTOUR„Alles muss raus“ im Kunsthof Glindow: Am Ende hatte Matthias Machwerk den Hals frei und das Publikum auf seiner Seite Werder · Glindow - Wird dasselbe in eine günstige Form gebracht, nennt man das Kabarett. Ziel solchen Tuns ist eine Art medikamentfreier „Selbstentleerung“, auf Kosten anderer, welche man dergestalt mit dem eigenen „alles“ belastet. So ein Mensch ist Matthias Machwerk, bürgerlichen Namens Jahn, und, na klar, er ist so ein Kabarettist. Am Samstag trug er im Glindower „Kunsthof“ seine Ansichten zu den Erscheinungen von Zeit und Leben in Deutschland vor, auf „hoher Warte“ freilich, denn zwischen ihm auf erhöhter Bühne und dem zu Tisch sitzenden Publikum unten, mit Kerzenlicht und Wein sorgsam betreut, war ein ziemlicher Abstand. Er konnte nicht runter, in seinem festen Solo-Programm „Alles muss raus“ waren Spots eingebaut, auf welche der Dresdener nicht verzichten wollte. So hatte er anfangs ganz schön zu schuften, um solch einen Graben zuzuschütten, damit Kongruenzen entstünden, Übereinstimmungen zwischen den vielen im Saal und dem einen da oben, welcher „wie aus einem Fenster“ zu seinem Publikum sprach. Hinzu kam, dass er dergestalt zwischen Sassnitz und Suhl auftritt, in großen Städten und kleinen Orten, wo man Teile seines angeblichen „Machwerks“ logischerweise sehr unterschiedlich rezipiert: Sentenzen zum Thema „Swinger-Club“ oder „SM“ etwa bekamen in Glindow einen ganz besonders unwahrscheinlichen Sinn. Sein loser, aber nicht ungefügter Vortrag wollte mit Sprache, wenigen Songs und angedeutetem Spiel „von allem etwas“ geben, was die deutsche Gegenwart dem Kabarett zu bieten hat. Alte und Junge wurden persifliert, Männer und Frauen (meist zugunsten der letzteren), Medien zwischen „dummdreister Werbung“ und Publikums-Verblödung („der Bildschirm wird ja immer flacher“), das Unglück der Jugend zwischen geklont aussehenden Boy-Groups, kommunikationsfreien SMS-Partys und Bevölkerungsrückgang, Kaufrausch per ebay („da habe ich mein geklautes Fahrrad wiedergefunden“) und Gerichtsvollzieher, Politik selbstredend inmitten. Behandelt und durchgezippt wurde die Frage, ob hormonpräparierte Mannsbilder überhaupt mit dem Gehirn denken können, Männer und Frauen auch glücklich sein können, wenn sie beieinander sind. Klingt alles gut, war auch (von den Songs abgesehen) nicht schlecht, obwohl ein „wahnsinniger Comedy-Abend“, wie angekündigt, nicht geschah. Warum? Jahn, der auch für „Stachelschweine“ und „Kneifzange“ textet, ist der Typ nicht dazu, er ist zu klug, zu kultiviert. Anders als Schramm oder Pelzig gibt er keine Rolle, er meint was er sagt und spielt was er denkt, etwa den Tagesverlauf eines 80-Jährigen, der noch arbeiten will, oder soll. Dem Schrillen fern, legt er nicht Wert auf schreiende Lacher, eher aufs Schmunzeln nach innen, und freut sich, wenn seine Botschaft vom „kleinen Glück“ wenigstens dem Heimweg erhalten bleibt. Sein Tun ist nicht Machwerk, sondern die blanke Vernunft, sein Stil heißt Aufklärung, Ziel die Offenlegung kryptischer Gesellschaftsverkettungen und -verunheilungen, die Welt der Erscheinungen diesseits seiner Wurzeln. Letztlich ist die „Umverteilung“ nach unten geglückt. Jahn „hatte“ nicht nur Publikum und Finalbeifall auf seiner Seite, sondern auch den Hals wieder frei. Bohlens böse Bücher waren im Ofen, die Schlafzimmer befriedet, mancher Alte durfte wieder auf eine Rente noch vor dem Tode hoffen. Alles musste raus, alles war raus, nicht schlecht.

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