
© Hoffbauer Berufsakademie
Homepage: Nicht so recht quantifizierbar
Lars Distelhorst über das Phantom Leistung
Stand:
Wenn man Lars Distelhorst glauben darf, ist Leistung eine ausgesprochen lässige Angelegenheit. Schwarze Jeans, Schwarzes T-Shirt, kurze Ärmel, Flammentattoo auf dem Arm doziert der 36-jährige promovierte Politologe bei der Veranstaltungsreihe Potsdamer Köpfe. Der Leistungsbegriff im Allgemeinen und in der gegenwärtigen bundesdeutschen Realität im Besonderen ist sein Thema. Genauer: der „Zusammenhang zwischen Leistung, Ideologie und Kapitalismus“. „Was nun wirklich Leistung ist, weiß allerdings niemand so recht,“ dämpft Distelhorst die Erwartungen.
Früher, da habe es noch echte Leistung gegeben, beispielsweise im Salzbergwerk bei 36-Stunden-Schichten in denen niemand zum Essen oder zur Verrichtung der Notdurft ans Tageslicht hoch gefahren sei. Nur hätte das damals niemand Leistung genannt. Heute dagegen beklage sich jeder, dass Mobilfunknetze und allumfassende Erreichbarkeit auch nach Feierabend einen alles durchdringenden Leistungsbegriff und ein ebensolches Denken etabliert hätten. Dem entkomme niemand. Dabei kreise der Leistungsgedanke an sich um ein Leerstelle. Zwar definiere die Physik die Leistung als den Quotient von Energie und Zeit. Der betriebswissenschaftliche Begriff der Leistung hätte sich allerdings mittlerweile ziemlich verflüchtigt. Dort spreche man eher von Kosten und Erlös und wisse auch nicht so recht, wie die jeweilige Arbeitskraft zu bemessen sei. Früher habe der Mensch Kohlen geschippt und dazu seine Muskeln benutzt. Da habe sich die Leistung aus eingesetzter Nahrungsmenge und zusammen geschaufeltem Kohlenberg errechnen lassen. Aber heute? „Gehe ich in einen Laden um einen MP3 Player zu kaufen, erwarte ich, dass der Verkäufer mich anlächelt und mir ein gutes Gefühl beim Kauf vermittelt. Auch das gehört zu seiner Arbeitsleistung“, stellt Distelhorst fest. Damit würden Einflussgrößen in den Leistungs- und Arbeitbegriff einfließen, die nicht so recht quantifizierbar seien und an die Karl Marx erst recht nicht gedacht habe. Dass gerade in eher schlecht bezahlten Berufen Arbeitgeber in der Regel die Arbeitsleistung ausgesprochen genau quantifizieren, übersieht Distelhorst dabei allerdings.
Ebenfalls aufgelöst ist gemäß Distelhorst trotz allumfassender Ökonomisierung der Gesellschaft die Beziehung zwischen Leistung und Verdienst. Der Banken- und Eurocrash, bei dem Milliardensummen durch die korrekte Berechnung der wirtschaftlichen Basisdaten vernichtet worden seien, habe gezeigt: „Es wird hoch gespielt und hoch verloren, aber das ist gesellschaftlich voll akzeptiert.“ Wenig gedankliche Klarheit herrsche auch bei den Parteien, die zwar alle samt den Leistungsbegriff als Wert gerne strapazieren würden. Dabei aber außer Acht ließen, dass allenfalls die Leistungsbereitschaft, nicht aber die Leistung als solche zur wertenden Kategorisierung tauge.
Derzeit schreibt der Studienkoordinator der Hoffbauer Berufsakademie in Potsdam Hermanswerder an einem Buch. So recht voran gekommen ist er damit aber noch nicht. Seine Veröffentlichungsliste kreist bisher im wesentlichen um zwei Themen: den Lifestyle als solchen und die Philosophin und Genderforscherin Judith Butler. Um den Zugang zu der wegen ihrer Schachtelsätze berüchtigten Theoretikerin zu erleichtern, hat Distelhorst eine preiswerte Abhandlung verfasst, die von der Fachwelt allerdings eher zwiespältig aufgenommen wurde. Spiegel-Online war die fesche Erscheinung des Potsdamer Hochschullehrers immerhin eine Erwähnung im Quiz für das schönste Tattoo bei Akademikern wert. Richard Rabensaat
Richard Rabensaat
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: