Landeshauptstadt: Nicht sofort in die Klinik
Psychiatrie-Chefarzt: Hilfe kommt zu den Menschen
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Das Bergmann-Klinikum strebt einen Paradigmenwechsel in der Behandlung psychisch Erkrankter an. Wie Dr. Christian Kieser, Chefarzt des Zentrums für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik, am Dienstagabend im Sozialausschuss erläuterte, soll „die Hilfe künftig zu den Menschen kommen“. Kieser: „Wir wollen nicht in der Notaufnahme sitzen und warten, bis die Menschen zu uns kommen.“ Die Behandlung psychisch Kranker solle „aufsuchend“ erfolgen, im häuslichen Umfeld der Patienten. Es gehe um Selbstbefähigung und Teilhabe der Patienten an einem „lebenswerten“ Leben. Bislang, sagte der Chefarzt, sei die Psychologie-Geschichte weitgehend „eine Geschichte der Ausgrenzung“.
In konkreter Umsetzung dieses neuen Ansatzes plant das Klinikum, wie berichtet, die 98 Betten der stationären Psychiatrie vom Standort In der Aue an den Hauptstandort in der Charlottenstraße zu verlegen. Dazu soll bis 2014 am Hauptstandort in der Innenstadt ein 100-Betten-Neubau für etwa 22 Millionen Euro errichtet werden. Ferner sollen im Potsdamer Norden und südöstlich der Stadt weitere psychosoziale Zentren etabliert werden. „Wir haben vor sechs Monaten die Pflichtversorgung für Teltow, Kleinmachnow und Stahnsdorf übernommen“, erklärte der Chefarzt. Um die „multiprofessionelle Behandlung“ von Patienten in ihren Wohnungen sicherzustellen, müssen Kieser zufolge gemeindepsychiatrische Teams gegründet werden. Ihm sei unverständlich, „warum die Kostenträger so zurückhaltend sind bei alternativen Behandlungsansätzen“, sagte Kieser – ein Seitenhieb auf die Krankenkassen. Dem Chefarzt zufolge seien die stationären Bereiche der Psychiatrie gut ausfinanziert. „Daher bündeln wir Ressourcen stationär.“ Die gesamte Behandlungsdichte „ist an das Bett gekoppelt. Das ist der falsche Weg“, erklärte Kieser. Die Vergütung ambulanter Leistungen sei dagegen ungenügend. Viel Geld ließe sich sparen, wenn der Patient bereits in den eigenen vier Wänden umfänglich untersucht werden könne. „Ein großer Teil der älteren dementen Menschen kommt zu uns auf Station – und hat doch nur zu wenig getrunken“, nannte Kieser ein Beispiel.
Weiterer Aspekt des neuen Herangehens sei die Herabsenkung von Behandlungsschwellen. Menschen mit Ängsten und Depressionen fürchteten die Stigmatisierung und wollten auf keinen Fall eine stationäre Behandlung. Niederschwelligere Angebote, das zeigten Erfahrungen in anderen Regionen, würden jedoch in Anspruch genommen, beispielsweise die Unterbringung in einer klinikfernen Krisenwohnung. Auf einen Suizidversuch folgten heute noch notgedrungen Polizei und stationäre Aufnahme in die Klinik – eine hochinvasive und hochtraumatisierende Erfahrung, sagte der Chefarzt. Besser wäre, man könnte den Angehörigen sagen, „morgen steht hochqualifiziertes Personal vor der Haustür“.
Ähnliches mache sich auch bei Alkoholkranken bemerkbar. Oft kämen die Patienten erst in der Spätphase in die Klinik, mit entsprechenden körperlichen Schäden. Um da früher eingreifen zu können, „brauchen wir Frühinterventionsstrategien“, sagte der Chefarzt. „Nachholebedarf“ besteht Kieser zufolge auch bei der Schulung von Angehörigen psychisch erkrankter Menschen. gb
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