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Landeshauptstadt: Nicht wie die Pharisäer

Die andere Sicht auf „Suffis“: Matthias Stempfle wirbt in seinem „Kiezgottesdienst“ für einen Perspektivwechsel

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Am Schlaatz - Die Schlaatzer mögen die Biertrinker an den Kaufhallen nicht. „Die Suffis“ stören, zitiert Matthias Stempfle eine Umfrage. Die Leute sagen: Schön wäre es, wenn die weg wären Der Diakon mit der Mähne und dem markanten Bart ruft die Besucher seines Kiezgottesdienst im Bürgerhaus Am Schlaatz zu einem Perspektivwechsel auf, zu einem anderen Blick auf „die Suffis“. Niemandem fällt ein Zacken aus der Krone, wenn er seine eigene Sicht auch einmal korrigiert. „Vorausgesetzt, dass ich eine Perspektive habe, die Welt zu sehen“, sagt Stempfle. Er trägt ein T-Shirt mit der Aufschrift „Alle guten Dinge sind Schlaatz.“ Vor ihm sitzen mehrere Gottesdienstbesucher, darunter ein junges Paar mit Kind. Stempfle unterbricht seine Andacht mehrfach, um mit ihnen zu singen. Er begleitet sich mit der E-Gitarre, während er singt „Wo Menschen sich vergessen, die Wege verlassen und neu beginnen, ganz neu “ Er sieht dabei wie ein Rockstar aus der Woodstock-Ära aus.

Doch wie sollen die Schlaatzer die „Suffis“ sehen? Was sollen sie in ihnen sehen? Der Theologe erzählt eine Episode aus dem Markus-Evangelium des Neuen Testaments. Dort kommen die ungeliebten Zöllner an der Grenze vor. „Sie waren der Inbegriff für Menschen, mit denen niemand etwas zu tun haben wollte“, erklärt Stempfle. Bis auf die Pharisäer (hebräisch: die Abgesonderten), Leute mit einer bestimmten theologischen Ausrichtung im antiken Judentum. Die Pharisäer wollten die Zöllner belehren, sie sollten sich ändern.

Jesus dagegen feierte mit den Zöllnern, „er machte mit ihnen ein Fass auf“. Stempfle erklärt, Jesus wählte einen dritten Weg, er moralisierte nicht, er machte die Zöllner nicht schlecht. „Es sind nicht die Vorwürfe, die einen Menschen ändern, sondern die Liebe“, sagt der Theologe. Und weiter: Jesus hat einen Perspektivwechsel vollzogen, er sieht einen Zöllner nicht als Störfall an, sondern als einen, der für die Gemeinschaft wichtig sein könnte. Jesus habe zu den Pharisäern gesagt: „Ich bin gekommen, um die Sünder in ein neues Leben zu führen, nicht die Gerechten.“

Und die „Suffis“? „Nicht wenn die weg wären“, insistiert Stempfle, sondern „wenn die da wären, das sind doch Menschen.“ Viele denken, sie stören, „doch kein Mensch, den Gott gemacht hat, ist zu viel“. Stempfle wirbt um diese Sicht: In den Augen eines Arbeitsamtsmitarbeiters ist der Mensch vielleicht nur ein Kostenfaktor, in Gottes Augen dagegen ein Potenzial, eine Möglichkeit. „In Gottes Augen werde ich schön.“

Nun bittet Diakon Stempfle um die Meinung der Anwesenden. In welcher Position sieht sich ein jeder, Zöllner, Pharisäer oder gar Jesus?

Eine junge Frau meldet sich, Roswitha Demme. Sie ließ sich vor vier Jahren taufen und ordnet sich als Zöllner ein. Genau wie diese sei sie erst auf dem Weg zu Gott. Sie könne ihm noch nicht einhundert Prozent vertrauen. Eine andere Frau bekennt, sie fühle sich als Pharisäerin. Sie möchte das Beste für ihr Kind und wolle sich mit bestimmten Leuten erst gar nicht einlassen. Ein junger Mann – er ist derjenige, der mit Frau und Kind da ist – erklärt, er sei beides, Pharisäer und Zöllner. Er sehe mit Verachtung auf die Trinker, wisse aber auch, dass er sich mit dieser Verachtung ausschließt von diesen Leuten. „Da, wo ich arrogant bin, bin ich selber unsicher und kann mich nicht einlassen“, greift Stempfle den Gedanken auf. Er sagt aber auch: „Es gibt Grenzen des sich Einlassens, der Identifizierung. Ich bin nicht Jesus.“

In der anschließenden Fürbitte zündet der junge Vater eine Kerze an und sagt dabei: „Gott, mach mich einmal am Tag frei von alten Denkmustern und lass mich ja sagen zu jemandem, zu dem ich sonst nicht ja sagen würde.“

Der Kiezgottesdienst von „Kirche im Kiez“ findet an jedem dritten Freitag im Monat um 18 Uhr im Bürgerhaus am Schlaatz statt. Nächster Termin: 15. Juni.

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