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Am Familienzentrum Potsdam können sich Fachkräfte zum Thema Kinderschutz weiterbilden
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Jedes Jahr gelangen mehrere tausend Kinder in Deutschland in die Obhut von Pflegefamilien oder Heimen. Mehr als 3000 waren es im Jahr 2009. Sie kommen aus Familien, die mit der Pflege, Versorgung und Erziehung ihrer Kinder überfordert sind. In geschätzten zehn bis 15 Prozent der Familien kommt es zu regelmäßigen körperlichen Bestrafungen. Für manche Kinder ist das lebensbedrohlich. Etwa 50 Kinder unter zehn Jahren sterben jedes Jahr an den Folgen von Gewalt und Vernachlässigung. Meist trifft es die Wehrlosesten, die Kleinsten. Über die Hälfte von ihnen hat das erste Lebensjahr noch nicht erreicht.
Einzuschätzen, ob ein Kind in seiner eigenen Familie nicht gut aufgehoben ist, ist auch für Pädagogen und Sozialarbeiter nicht leicht, die Unsicherheit ist groß. Wie geht man damit um, wenn ein Kind regelmäßig mit blauen Flecken oder ohne Pausenbrot in die Schule kommt? Was muss, was darf ich tun? Das Familienzentrum Potsdam bietet mit seinem Weiterbildungsprogramm „Kinderschutz“ Antworten auf diese und andere Fragen. Die Fortbildung, die erstmals im Jahr 2008 angeboten wurde, richtet sich an alle Menschen, die beruflich mit Kindern und Familien arbeiten. Grundlage des Programms ist dabei der im Jahr 2007 im Sozialgesetzbuch verankerte „Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung“. In seinen Leitlinien bestimmt er, dass eine erfahrene Fachkraft bei Verdachtsfällen hinzugezogen werden muss. „Das gab es so vorher nicht“, erklärt Sozialarbeiterin und Kriminologin Christine Burmeister, die das Fortbildungsprogramm am Familienzentrum Potsdam gemeinsam mit der damaligen Leiterin, Professorin Christiane Ludwig-Körner, initiiert und aufgebaut hat. Damit engagiert sich das Familienzentrum neben den vielen Angeboten für Familien, auch für die Ausbildung der Kinderschutzfachkräfte, deren Arbeit eine Verbesserung des Früherkennungs- und Frühwarnsystems gewährleisten soll.
Die Teilnehmer der Weiterbildung vertiefen in sieben Modulen ihre Kenntnisse über Ursachen von Kindesmisshandlungen, Hinweise auf eine Gefährdung und mögliche Hilfen. Auch juristische Grundlagen werden thematisiert. „Datenschutz ist immer wieder ein Thema. Was darf ich überhaupt sagen, welche Informationen kann ich vom Arzt erwarten“, so Burmeister. Dies seien typische Fragen, die sich den Mitarbeitern in der Jugendhilfe stellten.
Die elf Teilnehmer dieses Jahrgangs kommen aus Berlin, Brandenburg und Sachsen. Für jeweils ein Wochenende im Monat kommen sie nach Potsdam und werden von erfahrenen Dozenten unterrichtet. Den wissenschaftlichen Hintergrund und die Fachexpertise der Lehrenden wüssten die Teilnehmer dabei sehr zu schätzen, erzählt Burmeister. Zwischen den einzelnen Modulen haben sie Zeit, die Themen zu verarbeiten. Nach einem halben Jahr gibt es Prüfungen. Anhand eines konkreten Fallbeispiels sollen die Teilnehmenden das erlernte Wissen anwenden. „Die Ernsthaftigkeit wird durch so eine Fallprüfung sehr deutlich. Das ist auch eine gute Vorbereitung auf das, was dann in der Praxis auf einen zukommt“, so Burmeister, die als ehemalige Mitarbeiterin des Kinder- und Jugendnotdienstes in Hamburg und wissenschaftliche Mitarbeiterin des Masterstudiengangs Soziale Arbeit an der Fachhochschule Potsdam weiß, wovon sie spricht.
„Beim Kinderschutz ist gerade viel in Bewegung“, sagt Burmeister. Die Sensibilität für das Thema sei in den letzten Jahren gestiegen, die öffentliche Wahrnehmung habe sich gewandelt. Seit dem Jahr 2000 hat jedes Kind ein gesetzlich verankertes Recht auf gewaltfreie Erziehung, Körperstrafen und auch seelische Gewalt sind verboten. Immer mehr Eltern nehmen Hilfen zur Erziehung in Anspruch, die Zahl der Kindstötungen ist in den letzten 25 Jahren um mehr als die Hälfte gesunken.
„Die Mehrzahl der Kinder ist in ihren Familien gut aufgehoben, dennoch sind Hilfen wichtig, nicht nur für Risikofamilien“, betont Christine Burmeister. Auch der Mittelstand greife zunehmend auf Angebote wie Elternkurse oder Schreiambulanzen zurück. „Wenn man ein Kind hat, das in den ersten Lebensmonaten permanent schreit, ist das eine verdammt komplizierte Aufgabe, bei der man schnell überfordert ist. Das hat nichts damit zu tun, dass man es nicht auf die Reihe bekommt“, erklärt Burmeister. Wichtig sei es daher, Familien, die Hilfen in Anspruch nehmen, nicht zu stigmatisieren, sondern ein breites Angebot an Unterstützungsmöglichkeiten für alle Lebenslagen zu schaffen. „Wie kann ich Familien das Leben erleichtern, was brauchen sie?“ – das seien die zentralen Fragen. Auch durch gesellschaftliche Entwicklungen haben sich die Herausforderungen, vor denen Familien heute stehen, geändert. „Der Druck auf die Familien, die Unsicherheit ist gestiegen, aber auch die Wertschätzung der Kinder“, sagt die Sozialarbeiterin. Worauf kann ich mich noch verlassen – diese Frage sei heute, da Flexibilität zu jeder Zeit und überall gefordert sei, in den Familien präsent. Auf der individuellen Ebene der Familie würden gesellschaftliche Konflikte ausgetragen.
„Kinderschutz ist nichts für nebenbei“, stellt Burmeister klar. Die Anerkennung der Menschen, die sich im Kinderschutz engagierten, sei nach wie vor nicht ausreichend. Eine zeitliche Entlastung für Kinderschutzfachkräfte und auch eine angemessene Bezahlung sollten selbstverständlich werden.
Das Familienzentrum im Internet: www.familienzentrum-potsdam.de, Tel.: 0331-270 05 74
Heike Kampe
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