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Landeshauptstadt: „Nichts ist mehr so, wie es mal war“

Der Tsunami hat das Leben des Potsdamers Thomas Richen verändert / Eine Spurensuche

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Thomas Richen hat sich vorgenommen, das diesjährige Weihnachtsfest „so normal wie möglich“ zu verbringen. Freundin und Familie stehen im Mittelpunkt. Am zweiten Weihnachtsfeiertag will er sich mit zwei Freunden treffen. Irgendwo in einer Potsdamer Kneipe. Auch nichts Ungewöhnliches. Und doch wird es kein Weihnachten sein, so wie es viele Potsdamer feiern. „Nichts ist mehr so, wie es mal war“, sagt Thomas, den die meisten Divemaster Tom nennen. Auch wenn er im Gespräch immer wieder betont, dass er sich „um Normalität bemüht“ – eigentlich geht das nicht. Denn spricht man ihn auf das an, was er vor genau einem Jahr erlebte, sprudelt es nur so aus ihm heraus.

Der Tsunami hat sein Leben verändert, aber auch das seiner Freunde, die er in Khao Lak zurück ließ. Damals, als die Riesenwelle eine ganze Bucht im Süden von Thailand für 8000 Menschen zur Todesfalle werden ließ. Und es war nur ein Zufall, dass er diesen 26. Dezember 2004 überlebte. Tom saß an jenem Vormittag am Computer im Office des Tauchzentrums Loma Diving ein Stück weit oberhalb des Strandes. Als der Strom ausfiel, dachte er sich nichts dabei. Dann krachte es auf der Straße vor dem Büro – ein Mann war von einem Auto überfahren worden. Als Tom wegen des Unfalls auf die Straße trat, sah er schon das Wasser vom Strand her auf ihn zuströmen. Auf einem Moped flüchtete er vor der sich aufbäumenden Monsterwelle.

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Spurensuche in der Bucht von Bang Niang im Tourismusgebiet Khao Lak: Anocha, die junge Thailänderin im Office von Loma Diving, kennt den Potsdamer. Sie erzählt von ihm und von anderen, die damals in der Bucht waren. Sie selbst hatte ebenfalls Glück. Der Tourist, den sie an diesem Tag auf einer Tour begleiten sollte, war 20 Minuten zu früh im Office erschienen. Die wenigen Minuten, die sie früher auf Tour gingen, haben ihr Leben verlängert.

Das Office von Loma Diving ist nicht mehr dort, wo es mal war. Das Tauchzentrum hat sich in einem Flachbau in dem kleinen Flecken Bang Bang La On eingemietet, das einen Kilometer von der Bucht entfernt auf einer Anhöhe liegt und deswegen von der Todeswelle verschont blieb. „For Sale“ steht an der fensterlosen Hülle der alten Tauchschule unten in Bang Niang. Doch ein Jahr nach dem Tsunami prägt dieses Gebäude an der Straße zum Strand keineswegs das Bild. Es fällt eher auf – denn in Bang Niang wird gebaut. Neue Wohnhäuser, Hotels, Restaurants. Kein Todeshauch liegt über der Bucht, sondern fieberhafte Tätigkeit, vielstimmiger Baulärm erfüllen die Luft. Die Straße hinunter zum Strand erhält einen Gehweg, und unten, wo das Meer friedlich rauscht, hat das „Mukdara Beach Villa & Spa Resort“ längst für die Gäste eröffnet.

Wer genau hinsieht, sieht Spuren des Tsunami: verlassene Grundstücke, auf denen der Boden mit Pflanzen zugewachsen ist, Reste eines Swimmingpools, einige wenige Häuserruinen. Und das Polizeiboot, das von der Welle damals mehr als einen Kilometer ins Land getragen wurde. Doch für Katastrophentourismus eignet sich die Region Khao Lak nicht. Und auch Scheu vor der Begegnung mit der Bucht und ihren Bewohnern ist unangebracht. Anocha: „Wir brauchen keine Spenden, kein Mitleid – wir wollen nur, dass die Touristen wiederkommen.“

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Tom will auch wieder zurück nach Khao Lak – irgendwann, wenn es passt. „Aber ich werde auf jeden Fall dorthin zurück kehren.“ Nicht um ein Leben in Thailand zu verbringen, „dafür gibt es viel zu viele schöne Flecken auf der Erde“, sagt der Divemaster. Vor einem Jahr war er in der Ausbildung zum Instructor – Tauchlehrer. Er rettete sein Leben, verlor aber alles, was er besaß. Heute ist er arbeitslos. Doch das macht ihm nicht so zu schaffen, wie es ihn vielleicht belasten würde, wenn er nicht dem Tod ins Angesichts gesehen hätte. „Du siehst die Welt jetzt mit anderen Augen“, sagt Tom. „Viele Dinge nimmt man nicht mehr so tragisch.“ Und: „Es geht immer weiter. Es gibt immer einen Weg.“

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Das ist auch der Eindruck vor Ort. Nicht das erlebte Schicksal steht in den Gesichtern der Thailänder. Obwohl fast jeder in der Bucht Angehörige, Freunde, Mitarbeiter verloren hat. Anocha. Ihre Schwester Ann. Dam, der Kapitän des Tauchbootes Amarpon, das für Loma Diving längst wieder seine Drei- und Fünf-Tagestouren zu den traumhaft schönen Similan Islands unternimmt. Niemand blieb verschont. Auch Loma Diving verlor einen Mitarbeiter. Ein junger Mann aus Niederbayern starb in den Fluten. Er wurde an seinen Tätowierungen wiedererkannt.

Tom aus Hamburg führte in Bang Niang ein Strandrestaurant. Jetzt wagt er in Bang Bang La On

genau gegenüber vom Loma Diving Center einen Neuanfang. Noch ist sein Restaurant das letzte in der Reihe, die Gäste eher spärlich gesäht. Doch auf dem Nachbargrundstück wird schon gebaut – eine Tauchschule. Das macht Hoffnung.

Jeder kann seine Geschichte erzählen. Doch die Thais lächeln, schauen nach vorn, sind auch zu sehr damit beschäftigt, sich und die Angehörigen durchzubringen. Und freuen sich über jeden Touristen. Das ist beinahe körperlich zu spüren, wenn man durch Bang Niang läuft. Eine alte Frau hockt im Schneidersitz vor ihrem neuen Haus, lächelt den Touristen an, macht das Peace-Zeichen. Gänsehaut. Schluckreiz in der Kehle.

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Da nimmt es nicht Wunder, dass Tom dafür wirbt, dass die Touristen wieder nach Khao Lak kommen. „Die haben es einfach verdient“, sagt der Potsdamer. Die würden nicht jammern, sondern immer nach vorn schauen. „Das imponiert mir.“ So will auch er leben: „Nicht auf andere warten – auf mich selbst setzen, auf die eigene Kraft.“ Und schwärmt auch gleich noch von der schönen Landschaft, dem Essen in Thailand. Dass es in Khao Lak noch ruhig ist, preiswert und es keinen Sextourismus gibt.

Am zweiten Weihnachtsfeiertag werden Thomas und seine Freunde Christian und Sven auch darüber reden. Doch der Divemaster gibt schnell zu, dass es nicht dabei bleiben wird. Die traumatischen Erlebnisse nach der Flucht mit dem Moped wird der Potsdamer nicht vergessen können. Zumal Christian und Sven auch in der Bucht von Bang Niang waren an jenem Schreckenstag vor einem Jahr

. Ebenfalls Glück hatten. Auf jeden Fall will sich Tom über Weihnachten mal bei Anocha melden.

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Am 26. Dezember ist auch in Khao Lak Weihnachten. Und Jahrestag des Tsunami. Der deutsche Tauchlehrer Thomas von Loma Diving schreibt: „Wir werden versuchen den Tag ganz normal zu verbringen, aber das kommt ein wenig darauf an

, wie die Thailänder drauf sind. Wahrscheinlich werden wir uns ein wenig um Anocha und Ann kümmern.“

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