Ausgesprochen KAPUSTE: Nie ohne Foto!
Vor einigen Jahren in Rom auf dem Petersplatz. Beginn der öffentlichen Audienz mit Papst Benedikt XVI.
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Vor einigen Jahren in Rom auf dem Petersplatz. Beginn der öffentlichen Audienz mit Papst Benedikt XVI. Langsam fährt er, in seinem offenen Mobil stehend, durch die dicht gedrängte Menge. Er macht segnende Handbewegungen. Sie gelten den ihm zu Tausenden entgegen gestreckten Digitalkameras und Handys. Da werden keine Säuglinge empor gehalten, da sinken keine Pilger demütig auf die Knie, da werden nicht verzückt die Arme empor gereckt, nein, es wird fotografiert. „Auf Teufel komm raus!“, habe ich blasphemisch gedacht.
Überall und bei allen Gelegenheiten wird fotografiert, denn nur was fotografiert wurde, hat stattgefunden, hat man erlebt. Nur anhand der Fotos weiß man nachher, wo man überhaupt gewesen ist. Auch völlig Belangloses wird aufgenommen, es kann ja wieder gelöscht werden. Nicht jeder hat das Glück, hautnah eine Feuersbrunst oder eine Geiselnahme zu erleben, etwas, was man gut an eine Zeitung verscherbeln könnte. Also erst mal Handy, Kamera, iPhone oder Smartphone hoch und auf den Auslöser gedrückt. Selbst von bislang fotografierfreien Räumen wird zunehmend Besitz ergriffen. Beim Open Air Konzert an der Orangerie, beim Auftritt der Nobelpreisträgerin Herta Müller im Hans- Otto-Theater oder in der Kirche bei einer Taufe. Man wird ja wohl noch Fotos machen dürfen!
Jetzt werden Sie sagen, was ist er wieder negativ, der Kapuste, wo bleibt das Positive? Gemach, es kommt schon: im Fernsehen ein Bericht über eine gewalttätige Demonstration mit einem hin und her wogenden Gefecht zwischen behelmten Polizeibeamten und schwarzen Kapuzenmännern. Doch von Letzteren fallen Etliche für die Kampfhandlungen aus, sie müssen fotografieren. Die Arme hoch gereckt, versuchen sie, möglichst viele Bullen bei ihrer Unterdrückungsarbeit festzuhalten. Wäre diese Fotografiersucht nicht zur Pazifizierung der Demos nutzbar? Man könnte einen Preis für das schönste Demo-Foto ausschreiben und damit die Demonstranten vom Steine werfen abhalten. Auch erlöste es die Rechten aus dem Gewissenskonflikt, ob sie nun den rechten Arm heben sollen oder nicht. Mit hoch gehaltenen Kameras wären die Jungs aus dem Schneider, auch wenn sie sicherlich zu blöd sind, ein gutes Foto zustande zu bringen.
Wie heißt die 23. Version des „Cogito, ergo sum“ von René Descartes? „Ich fotografiere, also bin ich!“ Auf der Suche im Internet nach noch mehr Philosophie stieß ich auf Martin Heidegger und das „Sein“ und das „Seiende“. Vermutlich ist Fotografieren das Seiende, aber das geht leider über meinen Horizont hinaus, da lasse ich lieber die Finger davon.
Unser Autor ist ehemaliger Stadtverordneter der CDU und war Vorsitzender des Ausschusses für Kultur. Er lebt in Eiche.
Eberhard Kapuste
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