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Landeshauptstadt: Nobelviertel für Potsdam-West

Kanadischer Investor wollte dafür 100 000 Quadratmeter Kleingartenland überbauen

Stand:

„Kanadischer Bauriese walzt Gärten nieder“ – unter diesem reißerischen Titel kündigten die damaligen Brandenburgischen Neuesten Nachrichten (heute PNN) am 18. September 1990 die Bebauung des Kleingartengeländes im Dreieck zwischen Geschwister-Scholl-Straße, Zeppelin- und Forststraße an. Danach war das 100 000 Quadratmeter große Gelände ohne Information und Anhörung der rund 950 betroffenen Kleingärtner an das in Toronto beheimatete, durch zahlreiche Wolkenkratzer- und Hotelbauten bekannt gewordene Unternehmen „Sefri construction verkauft worden. Es wolle hier ein aus Stadtvillen, mehreren Hotelhochhäusern und einem riesigen Einkaufszentrum bestehendes Nobelviertel bauen.

Baustadtrat Detlef Kaminski, damals noch im Neuen Forum, aber vor dem Wechsel zur SPD, ließ keinen Zweifel an der Ernsthaftigkeit des Vorhabens. Das Torontoer Unternehmen habe bereits den Zuschlag bekommen und werde noch im ersten Halbjahr 1991 mit dem Bau beginnen, erklärte er. Die Proteste der daraufhin ins Rathaus eilenden Spartenvorsitzenden schmetterte er ab.

Damit löste der später an seinen eigenen Fehlern gescheiterte Stadtrat den so genannten Potsdamer Kleingartenkrieg aus, der bis Mitte der 90er Jahre andauerte. Unerschrocken stellte sich Kaminski mehr als 1000 vor dem Rathaus demonstrierenden Laubenpiepern und Ortsterminen in den Gartenvereinen, die in emotional aufgeladener Atmosphäre verliefen.

Trotz aller Proteste, schließlich wurden ihm nachts sogar Scheiben seiner Wohnung eingeworfen, ließ er sich von dem Vorhaben nicht abbringen. Die Stadt ging in der von Euphorie geprägten Nachwendezeit davon aus, dass die Einwohnerzahl Potsdams von damals etwa 130 000 in knapp zwei Jahrzehnten auf 200 000 steigen würde. Dafür müssten mindestens 23 000 Wohnungen neu errichtet werden, argumentierten die Stadtväter. Als Bauland favorisierten sie die ausgedehnten Kleingartenanlagen nicht nur in Potsdam-West, sondern auch in Babelsberg-Nord und -Süd, am Pfingstberg und am Hinzenberg. Insgesamt sollten bis zum Jahr 2010 fast 2000 Parzellen überbaut werden.

Diese ebenso hochfliegenden wie unausgewogenen Planungen hätten erhebliche Teile des Stadtgrüns vernichtet und ärmeren Bevölkerungsschichten ihrer Erholungsmöglichkeiten beraubt. In Potsdam-West war außerdem ein Konflikt mit der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten vorprogrammiert, da die Hochhausbauten den Umgebungsschutz für den dann in das Weltkulturerbe aufgenommenen Park Sanssouci gröblichst widersprochen hätten.

Ausschlaggebend dafür, dass diese Planungen Luftschlösser blieben, war aber das Ausbleiben des prognostizierten hohen Bevölkerungszuwachses. Auch nach Eingemeindung ländlicher Ortsteile im Oktober 2003 hat Potsdam nur wenig mehr als 140 000 Einwohner. Der Wohnungsbau besitzt seinen Schwerpunkt inzwischen im Potsdamer Norden. Er spielte bei den Überlegungen Anfang der 90er Jahre keine Rolle, da er damals noch überwiegend für Militäranlagen der Sowjetarmee genutzt wurde und deshalb für den Wohnungsbau gesperrt war.

In einem zähen und langwierigen Prozess einigten sich Stadt und Kleingärtnerverband (VGS) schließlich darauf, den größten Teil der Kleingartenflächen als „Dauerkleingärten auszuweisen, für die eine Kündigung nicht ohne weiteres und nur langfristig möglich ist. So entgingen auch die 14 Sparten in Potsdam-West der Bebauung. Auf Dauer zukunftssicher sind sie aber auf dem Gelände nicht, das bis Anfang des 20. Jahrhunderts größtenteils als Sand- und Kiesgrube genutzt und dann mit Müll verfüllt worden war. In den Notzeiten Ende der 20er, Anfang der 30er Jahre wurde es vorwiegend durch Arbeitslose und Sozialschwache rekultiviert und zu Kleingärten gestaltet.

Schon bald darauf weckte das Gebiet erste Begehrlichkeiten. Im Dritten Reich sollte vom Kaiserbahnhof zur Zeppelinstraße eine Verbindungsstraße hindurchgeführt und bebaut werden. In der DDR-Zeit wurde es 1965 zum Aufbaugebiet erklärt und zum Teil für das dann ab 1971 entstehende gestaltlose Plattenbauviertel Potsdam-West abgeräumt. Der Rest sollte der GPG „Sanssouci zur Verfügung gestellt werden, deren Obst- und Gemüseproduktion am alten Standort wegen der von der nahegelegenen Mülldeponie Golm ausgehenden Bodenvergiftung gefährdet war.

Doch das verhinderten die Kleingärtner durch ihre Proteste. Oberbürgermeisterin Brunhilde Hanke musste ihnen schließlich auf einer emotional geprägten Versammlung den Erhalt der Sparten zusagen. Im Hintergrund stand ein SED-Politbürobeschluss, der die Bedeutung der Kleingärten für die Versorgung der Bevölkerung unterstrich. In den Chroniken der Vereine sind diese Erfolge vermerkt – vor Bebauungsplänen sicher sind sie auf ihrem innenstadtnahen Gelände, das für Investoren ein Filetstück darstellt, auf Dauer wohl nicht.Erhart Hohenstein

Wer einen bisher nicht verwirklichten Architektur-Entwurf für die PNN-Serie „Luftschlösser“ vorschlagen möchte, meldet sich unter Tel.: (0331) 2376 134, Fax: (0331) 23 76 300 oder per E-mail an lokales.pnn@pnn.de.

Erhart Hohenstein

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