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Landeshauptstadt: Nur durch Zufall hundert Jahre alt geworden

Jubilar Wilhelm Hamann hat kein Rezept für hohes Alter

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Jubilar Wilhelm Hamann hat kein Rezept für hohes Alter Von Nicola Klusemann Als er 80 wurde, begann Wilhelm Hamann seine Geburtstagsreden selbst zu halten. Jedes Mal endete er mit belegter Stimme und dem Satz: „Wer weiß, ob ich das nächste Jahr überhaupt überlebe.“ Zwei Jahrzehnte hat sich das seine Familie geduldig angehört. Gestern nun wurde der gebürtige Lausitzer hundert Jahre alt, mehr durch Zufall als durch Vorsatz. Wie, das weiß er selbst nicht. „Ich habe kein Rezept“, winkt er ab. Er habe gelebt wie jeder andere auch, gerne mal ein Bierchen und Schnäpschen getrunken und bis ins hohe Alter geraucht. Bis heute ist Wilhelm Hamann körperlich rüstig und geistig agil, schreibt für den „Zeitzeugen“-Zirkel des Potsdamer Seniorenbeirats Geschichten aus seinem Leben. Auch seine Memoiren hat er bereits verfasst und sie schon mehrmals seinen drei Kindern überlassen wollen, dann aber wieder zurückgefordert, weil es immer noch etwas zu erzählen gibt. Seine vielen Aktivitäten und sein Engagement hätten ihren Vater so alt werden lassen, schätzt Tochter Liselotte Schlotte. Ist ein alter Mensch einsam, allein gelassen, dann gebe er sich auf. Vor dreizehn Jahren holte sein jüngster Sohn Heinrich deshalb den alten Herrn nach Potsdam ins Evangelische Seniorenzentrum „Hasenheyer-Stift“. Er sollte sich nicht abgeschoben, sondern versorgt fühlen, erklärt seine Tochter. „Es ist schön hier“, findet der Hundertjährige, der zum gestrigen Empfang in den Feierraum des Altenheims in Potsdam-West einlud. Die Gratulanten standen Schlange: Verwandte und Bekannte, ehemalige Kollegen, die Mitstreiter im Schreibzirkel und auch Vertreter aus dem Büro des Ministerpräsidenten kamen, um Blumen und beste Wünsche zu überbringen. Stolz verwies der Jubilar dabei immer wieder auf seine drei Kinder. „Er hat alles daran gesetzt, dass aus uns Dreien etwas Ordentliches wird“, erinnert sich die 66-jährige Liselotte Schlotte, die ausgebildete Chemieingenieurin ist. Der Arbeitseinsatz ihres Vaters als Geschäftsmann sei ihr großes Vorbild gewesen. Wirklich bewundert aber habe sie ihren Vater besonders in seinen letzten Ehejahren. Fast zehn Jahre pflegte Wilhelm Hamann seine am Ende schwerkranke Frau. 1988 starb sie. In dieser Pflegezeit habe ihr Vater eine unglaubliche Kraft entwickelt und diese harte Probe mit viel Geduld und Stärke bestanden, erzählt seine Tochter. Dass seine Familie versorgt ist, habe das Leben seines Vaters bestimmt, sagt sein 62-jähriger Sohn Heinrich Hamann. In seiner Erinnerung war das Familienoberhaupt viel unterwegs, habe viel gearbeitet. Er habe seinen Beruf als Buchhalter der Produktionsgenossenschaft (PGS) Roland in Zerbst hundertprozentig ausgeübt. Zeit für seine Kinder wäre deshalb nicht viel geblieben. Die Erziehung sei hauptsächlich Aufgabe der Mutter gewesen. „Nur über meine Berufswahl entschied mein Vater“, sagt Heinrich Hamann. Bis zum Abitur habe er keine Vorstellung davon gehabt, was er einmal werden solle, gesteht er. Da habe sein Vater jenen Satz gesagt, der ihm bis heute im Gedächtnis sei: „Der Heinrich ist immer im Garten, also wird er Gärtner“. Eine gute Entscheidung, wie sich herausstellen sollte. Der spätere Diplomgärtner brachte es bis zum stellvertretenden Gartendirektor der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten. Der blieb er bis zu seiner Pensionierung im vergangenen Jahr. Auch aus Hamanns älterem Sohn Wilhelm ist dem Wunsch des Vaters gemäß etwas Ordentliches geworden. Der heute 64-Jährige entschied sich für den Maschinenbau. Obwohl die Kindheit auf dem Lande in bescheidenen Verhältnissen verlief, habe sein Vater alles daran gesetzt, „dass wir studieren konnten“, ist Wilhelm Hamann dankbar. Im Unterschied zu seinem jüngeren Bruder erinnert er sich daran, dass der Vater viel Zeit mit den Kindern verbrachte. Besonders ausgedehnte Fahrradtouren, zu denen auch die Bauerskinder aus der Nachbarschaft eingeladen wurden, sind dem 64-Jährigen im Gedächtnis geblieben. Aber auch für Rechenaufgaben wurde die gesamte Familie regelmäßig herangezogen. „Er ist eben ein Buchhalter durch und durch“, schmunzelt Wilhelm junior. Fehlte auch nur ein Pfennig in der Schlussrechnung des Haushaltsbuches, sei manchmal ein ganzes Wochenende nach dessen Verbleib geforscht worden. Vater Wilhelm Hamann war in diesem Punkt eben ganz genau. Den Ehrgeiz, alt zu werden, entwickelte der Mann, der in seinem Leben mit Kaiserzeit, Weimarer Republik, Nationalsozialismus, Sowjetischer Besatzungszone, DDR und Bundesrepublik sechs verschiedene Staatsformen erlebte, erst spät. Es begann, als er einen Verwandten, der 96 Jahre alt geworden war, übertrumpfen wollte. Danach wünschte er sich, das Jahr 2000 zu erleben und dann war es bis zur Hundert auch nicht weit. Heute sieht er sich als Oberhaupt, das die große Familie zusammenhält. Drei Kinder, fünf Enkel und fünf Urenkel, zählt Wilhelm Hamann auf. Zum Clan gehören aber natürlich auch die Schwiegerkinder und noch viele Neffen, Nichten und wiederum deren Kinder. Zur großen Feier am kommenden Sonnabend erwartet der Jubilar rund vierzig Personen. Eine Nichte käme sogar extra aus Amerika angereist, freut sich der Hundertjährige. „Wenn ich nicht mehr bin, fällt die Familie womöglich auseinander“, fürchtet der Mann mit dem biblischen Alter. Und damit das nicht passiert, muss er einfach noch ein paar Jahre weiterleben.

Nicola Klusemann

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