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Landeshauptstadt: Oberlinhaus droht Klagewelle

Berufsbildungswerk zog Beschwerde gegen Schiedsspruch zurück/ Neue Arbeitsordnung damit rechtswidrig / 97 Mitarbeiter betroffen/Vereinsvorstand verweist auf Vergleich, der neue Tarife zulässt

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Dem Verein Oberlinhaus droht womöglich eine Vielzahl von Rechtsstreitigkeiten vor dem Potsdamer Arbeitsgericht. Seit Montag nämlich ist die im Berufsbildungswerk im Oberlinhaus (BBW) im Herbst 2006 eingeführte neue Arbeitsordnung als Vergütungsgrundlage rechtswidrig. Dass die Arbeitsordnung „bei bestehenden und künftig zu begründeten Arbeitsverhältnissen“ in der diakonischen Einrichtung BBW keine Anwendung mehr finden darf, hatte bereits die Schiedsstelle des Diakonischen Werkes Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz e.V. im März entschieden. Gegen diesen Schiedsspruch allerdings legte die Leitung des Berufsbildungswerkes Beschwerde beim Kirchengericht in Hannover ein. Wenige Tage vor dem Verhandlungstermin am 10. September aber hatte das BBW den Beschwerdeantrag zurückgezogen, wie der Vereinsvorstand gestern auf Nachfrage bestätigte. Damit wird die Entscheidung aus Berlin rechtskräftig.

Bereits 97 von insgesamt 420 Beschäftigen in der Oberlin-Tochtergesellschaft BBW seien nach der vom Verein Oberlinhaus entwickelten Arbeitsordnung eingestellt worden, erklärt die Mitarbeitervertretung (MAV) gegenüber den PNN. Das bedeute auch weniger Geld, weniger Urlaubstage und mehr Arbeit im Vergleich zu den Kollegen, die noch Verträge nach der Arbeitsrichtlinien (AVR) des Diakonischen Werkes hätten. Sie alle hätten nun die Möglichkeit, sich in das alte Tarifsystem kirchlicher Einrichtungen einzuklagen, bestätigt auch der Anwalt der BBW-Mitarbeitervertretung Thomas Becker.

Die Reaktionen der Mitarbeitervertretung stoßen unterdessen beim Vereinsvorstand des Oberlinhauses auf Unverständnis. Die Geschäftsführung des BBW habe mit der MAV Mitte Mai einen Vergleich geschlossen, in dem der Umgang mit der neuen Arbeitsordnung geregelt worden sei, erklärte gestern die Sprecherin des Oberlinvereins Wiebke Zielinski. Danach fände die neue Tarifregelung im BBW bei allen Neueinstellungen Anwendung. Außerdem regele der Vergleich „Details zu den einzelnen Komponenten in den Arbeitsverträgen“. Die Sprecherin betonte, dass im übrigen alle bestehenden Arbeitsverträge ihre Gültigkeit behielten.

Das gelte auch für die alten Arbeitsverhältnisse in der Oberlinklinik. Seit Überführung der orthopädische Fachklinik in eine eigenständige Gesellschaft zum 1. Januar dieses Jahres gelte aber auch hier die neue Arbeitsordnung, wie Wiebke Zielinski bestätigte. Wie viele Mitarbeiter seitdem in der Orthopädieklinik neu eingestellt wurden, wisse sie aber nicht. Auch sie könnten sich nach den Aussagen des Arbeitsrechtlers Becker in den alten Tarif einklagen. Bevor sie allerdings den Rechtsweg beschritten, erklärte er, müsse auch die Mitarbeitervertretung der Oberlinklinik bei der Schiedsstelle in Berlin für ihre GmbH eine entsprechende Entscheidung herbeiführen. „Die Gesellschaften gelten als eigenständige Rechtspersonen“, so die Erklärung.

Der von der Vereinssprecherin angesprochene Vergleich betreffe nach Beckers Ansicht nur die zwischen Herbst 2006 und Schiedsspruch geschlossenen Arbeitsverträge. Es stünde den Geschäftsführern des BBW deshalb „gut zu Gesicht“, erklärte der Anwalt, sich verhandlungsbereit zu zeigen und „sich künftig an die nun rechtskräftige Weisung der kirchlichen Schiedsstelle zu halten.“

Diese hatte in ihrer Begründung vor allem kritisiert, dass der Verein Oberlinhaus mit der neuen Arbeitsordnung den so genannten „dritten Weg“ verlasse. Arbeitsrechtliche Regelungen seien in Kirche und kirchlichen Einrichtungen Ergebnisse von Kommissionen, in denen Arbeitgeber und Arbeitnehmer paritätisch vertreten seien, erklärte Anwalt Becker. Die Arbeitsordnung aber sei einseitig nur vom Vereinsvorstand entwickelt worden. Außerdem werde mit der neuen Tarifregelung „massiv der Betriebsfrieden gestört“, so ein weiterer Kritikpunkt der Schiedsstelle. Während AVR-Angestellte beispielsweise eine 38,5 Stundenwoche hätten, müssten die Beschäftigten nach neuer Arbeitsordnung 40 Stunden pro Woche arbeiten und sie hätten 27 statt 30 Tage Urlaub im Jahr.

Der Vorstand des Oberlinvereins hatte die Einführung der Arbeitsordnung in einer Informationsschrift für die Mitarbeiter vor allem damit begründet, dass es „unsere Pflicht“ sei, für das diakonische Unternehmen eine „wirtschaftliche Basis für die Zukunft zu sichern, finanzielle Mittel für zwingende Investitionen zu erwirtschaften sowie Rahmenbedingungen für () bedarfsgerechte Weiterentwicklungen zu schaffen“. Um die eigene Tarifordnung gegen die bestehende Regelung durchzusetzen, hatte der Vorstand auch nach Aufforderung der kirchlichen Schiedsstelle einen Antrag auf Ausnahmegenehmigung beim Diakonischen Rat gestellt. Dieser lehnte allerdings ab. Parallel zum Tarifstreit in Babelsberg berät der Rat derzeit über eine Novelle der AVR, die zum Teil Punkte enthält, die das Oberlinhaus mit seiner Arbeitsordnung einführen wollte. Die neue Arbeitsvertragsrichtlinie soll im Frühjahr 2008 in Kraft treten.

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