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Der Religionswissenschaftler Karl Erich Grözinger von der Uni Potsdam nahm seinen Abschied

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Was Kafka mit der jüdischen Mystik zu tun hat? Eigentlich gar nichts, würde man denken. Dem ist aber nicht so. Der Potsdamer Religionswissenschaftler Karl Erich Grözinger war in seinem Buch „Kafka und die Kabbala“ (1992/2003) zu der verblüffenden Erkenntnis gekommen, dass „Der Prozess“ biografisch und thematisch im Denken der Kabbala, der mystischen Tradition des Judentums, wurzelt. Grözinger konnte nachweisen, dass spezifische osteuropäische Formen kabbalistischer Mystik zur Zeit Kafkas unter den aschkenasischen Juden Prags in Alltag und Ritus noch wirksam waren. Gerichtsthematik und Schöpfungslehren finden sich dann auch bei Kafka wieder. Das Buch war eine kleine Sensation, die weltweit Beachtung fand. Es wurde unter anderem ins Japanische, Englische, und Italienische übersetzt.

Doch Grözinger, der am vergangenen Mittwoch im Alten Rathaus Potsdam seinen Abschied von der Lehrtätigkeit an der Universität Potsdam nahm, hat noch viel mehr erreicht. In Potsdam baute der heute 65-jährige Religionswissenschaftler 1994 das Institut für Religionswissenschaft auf. Und weil er in Europa als bester Kenner der Kabbala, des Chassidismus und der mittelalterlichen jüdischen Philosophie gilt, hatte er dann auch großen Anteil am Aufbau der mittlerweile über Deutschlands Grenzen hinaus renommierten Jüdischen Studien. Nicht zu vergessen sein Engagement für den Studiengang Lebensgestaltung-Ethik-Religionskunde (LER). In den vergangenen 12 Jahren eröffnete der Professor für Religionsgeschichte an der Potsdamer Uni damit eine Bandbreite, die von der Religionsgeschichte über die Ausbildung von Rabbinern bis hin zur Lehre für den überkonfessionellen LER-Schulunterricht in Brandenburg reicht.

Im Theatersaal des Alten Rathauses wünschte man sich dann auch einem hebräischem Sprichwort folgend, dass Grözinger auch nach seiner Emeritierung die Potsdamer Religionswissenschaften bis zu seinem 120. Geburtstag begleite. Denn Grözingers Schaffen ist breit angelegt. Eines der letzten Steckenpferde des in Stuttgart geborenen Forschers waren Studien zur jiddischen und Neuen Jüdischen Musik. Was an dem Abschiedsabend nicht zu überhören war. Klavierstücke der Neuen Jüdischen Schule ließ der Potsdamer Pianist und Musikwissenschaftler Jascha Nemtsov auferstehen, darunter die „Jüdische Rhapsodie“ von Juliusz Wolfsohn, der in den 20er Jahren zwischen Warschau, Moskau und Wien lebte und komponierte. Elemente von jiddischer Folklore, Klezmer und Hochzeitsliedern lassen festliche Fröhlichkeit aufkommen. Später zitierte Nemtsov dann einen Rebbe: Man solle fröhlich sein und daher keinen Wein, sondern Wodka trinken.

Bevor es aber soweit war, ergriff noch die neue Präsidentin der Uni Potsdam, Prof. Sabine Kunst, das Wort. Auf den Namen Grözinger sei sie bei der Übernahme ihres Amtes sofort gestoßen. „Sie haben für die Profilbildung der Universität Herausragendes geleistet“, lobte sie den Wissenschaftler und übergab ihm die Emeritierungsurkunde des Wissenschaftsministeriums. Grözinger bezeichnete es dann als sein Vermächtnis an die neue Uni-Präsidentin, ihr Augenmerk auf die Religionswissenschaften, die Jüdischen Studien und den LER-Studiengang zu richten: „Dieses Kleinod der Hochschule muss man pflegen und hüten“. Und dies nicht nur mit Drittmitteln.

Noch einmal zurück zu Kafka. Der Festredner Manfred Voigts zog Parallelen zwischen ihm und dem jüdischen Aufklärer Moses Mendelssohn. Beide hätten die mitunter teuflische Eigendynamik des geschriebenen Wortes kritisch betrachtet. Doch während Kafkas Figuren meist vor verschlossenen Türen stehen, wollte Mendelssohn Türen öffnen. Im Alten Rathaus wurden sie dann auch weit geöffnet: Vor ihnen wartete ein kleines Abschiedsfest für Grözinger.

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