Debatte um die Mitte in Potsdam: Öffentliches Eigentum soll öffentlich bleiben
Der Beschluss zur behutsamen Wiederannäherung an den historischen Stadtgrundriss wird aus dem Kontext gerissen, um die Politik der Liquidierung der DDR-Architektur fortzusetzen.
Stand:
Potsdams kultureller und bauhistorischer Reichtum ist bedeutend. Dazu haben viele Generationen in verschiedenen historischen Epochen ihren Beitrag geleistet. Diese in Stein gehauenen Zeitzeugen gehören zu Potsdams Gegenwart und damit auch zur künftigen städtebaulichen Entwicklung. Im Oktober 1990 wurde das Ziel der Stadtentwicklung in der Potsdamer Mitte, die „behutsame Annäherung an den historischen Stadtgrundriss“, beschlossen. Dieser Beschluss wird heute von den Befürwortern der einseitigen Umgestaltung der Stadtmitte zur Rechtfertigung ihrer Position herangezogen. Aber die Zeiten ändern sich, die Bevölkerung auch und so darf man 27 Jahre später fragen, ob dieser Beschluss aus der Wendezeit heute noch sinnvoll und richtig ist? Vor allem wenn man bedenkt, dass es heute nicht nur um die „Umgestaltung“, sondern um den Ausverkauf von kommunalem Eigentum geht.
„Behutsamkeit“ ist bei einer näheren Betrachtung der jetzigen Politik schwer zu finden. Mit Behutsamkeit hat der Abriss bestehender und nutzbarer Gebäude, haben die aktuellen Entwicklungen in der Mitte nichts zu tun. An keiner Stelle lässt sich der Beschluss so lesen, dass die Wiederannäherung an den historischen Stadtgrundriss zu Lasten bestehender Nutzungen und Interessen sowie der Entwicklung einer modernen, lebenswerten Stadtmitte umgesetzt werden soll. Die städtebauliche Entwicklung der Neuen Mitte ist auf der Grundlage bisheriger Beschlüsse so weiterzuführen, dass bei der behutsamen Annäherung an den historischen Stadtgrund- und Aufriss die Anforderungen und Bedingungen einer aus den Trümmern des 20. Jahrhunderts heraus im 21. Jahrhundert weiter gewachsenen und sich verändernden Stadt Beachtung finden.
Politik der Liquidierung der DDR-Architektur
Der Beschluss wird heute aus dem historischen Kontext gerissen, um die Politik der Liquidierung der Nachkriegsmoderne, vulgo der DDR-Architektur, in Potsdam fortzusetzen. Behutsam mit dem Erbe, mit der (gesamten) Tradition umgehen, könnte ja auch bedeuten, auf jenen Platz, der die vermeintliche Mitte Potsdams darstellt, eine produktive Spannung zwischen unterschiedlichen Formen und damit Jahrhunderten aufzubauen. Damit würde auch die „maßstabslose und struktursprengende“ Nikolai-Kirche eingebunden. (Die Adjektive sind dem Beitrag von Christian Seidel in den PNN entnommen, jedoch hat dieser sie für das deutlich kleinere Gebäude der Fachhochschule benutzt – warum kommen diese Adjektive nicht beim Anblick der für diese Barockstadt völlig überdimensionierten Kirche?)
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Natürlich gibt es auch noch die wirtschaftlichen Interessen. Jenseits der Ideologie lauert das Geschäft. Dies sollte nicht vergessen werden. Immerhin geht es um Filetstücke in dieser Stadt. Der Streit um Fassadengestaltungen und Blockstrukturen verdeckt geschickt die eigentlich viel wichtigere Frage nach dem Umgang mit öffentlichem Eigentum. Denn das ist der Preis, den wir alle am Ende zahlen für die preußische „Kulissenschieberei“. Große Teile der Stadt wandern aus öffentlichem in privates Eigentum: Das Garnisonkirchgrundstück stellte die Stadt kostenlos zur Verfügung, die Flächen um Alten Markt und Staudenhof wurden und werden privatisiert.
Es geht um die Frage: Wem gehört die Stadt
Zur Beruhigung der Gemüter werden Sozialwohnungsanteile festgeschrieben – nur im Kleingedruckten steht, dass die Bindungsfrist nach spätestens 20 Jahren endet. Danach sind die privaten Eigentümer frei im Umgang mit ihrem Eigentum. Das Anliegen, die Grundstücke nicht zu verkaufen, sondern Erbbaurechte zu vergeben und damit bei gleicher Investitionssicherheit zumindest das öffentliche Eigentum und Einflussmöglichkeiten zu erhalten und Einnahmen für die Stadt zu generieren – eine Mehrheit der Stadtverordneten lehnte es ab. Auch das ist eine Antwort auf die Frage: „Wem gehört die Stadt?“ Ist das nachhaltig und zukunftsorientiert? Öffentliches Eigentum soll zu Gunsten der Stadtbevölkerung auch öffentlich bleiben! Das beinhaltet auch dessen Modernisierung.
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In der Politik geht es um Interessen. Die können ökonomischer oder ideologischer, also weltanschaulicher Natur sein. Das gilt für die „große Politik“, sei es in Syrien oder in der EU. Als langjähriger Kommunalpolitiker sage ich: Das gilt leider auch für die kommunale Politik. Dass diese Interessen selten offen formuliert werden, sondern versteckt, verklärt oder gar vernebelt werden, gehört mit zum politischen Geschäft. Da wird lieber für Werte, Traditionen, dass Wohl aller oder gar Menschenrechte gestritten – alte, aber bewährte Floskeln, die verdecken, dass es um eine ganz entscheidende Frage geht: „Wem gehört die Stadt?“ Momentan erleben wir, dass die Interessen von 15 000 Potsdamer Bürgerinnen und Bürgern, die eine dezidiert andere Beantwortung dieser Frage mit ihrer Unterschrift unter das Bürgerbegehren deutlich gemacht haben, nicht zählen.
Es geht in dieser politischen Auseinandersetzung ja nicht pauschal um die Gestaltung der Stadt Potsdam, sondern um deren „Mitte“. Ein Begriff aus der politischen Asservatenkammer, der seit über 2 000 Jahren umkämpft und genutzt wird. Welche Mitte der Stadt Potsdam? Jener des 18. Jahrhunderts, des 19. oder gar des 20. Jahrhunderts? Ein Blick auf die Karte und das tatsächliche Leben in dieser Stadt würde zeigen, wir diskutieren um eine Randzone. Aber mit „Mitte“ lässt sich besser streiten. Dann kommt schon „die Tradition“? Welche Tradition? In Potsdam gibt es dazu mittlerweile eine klare Ansage und dafür auch das passende Geld, öffentliches und privates. Zwar gibt es gegen diesen konservativen Zeitgeist in dieser Stadt immer wieder Aufbegehren und Widerstand, aber leider, wie sich in den letzten Jahren zeigte, mit wenig Erfolg.
Weltanschaulich verklärte soziale Kämpfe in der Stadt
In den nächsten Tagen wird der Abriss der Fachhochschule erfolgen. Die Zurückweisung des Bürgerbegehrens zur Potsdamer Mitte mag juristisch begründbar gewesen sein – politisch klug war sie nicht. Tausende Potsdamer haben sich in kurzer Zeit klar positioniert – und werden jetzt mit dieser Entscheidung ignoriert. In einer so zentralen Frage genügt es nicht, auf 27 Jahre alte Stadtverordnetenbeschlüsse zu verweisen. Dieser Konflikt sollte durch die Bürgerschaft selbst gelöst werden. Der Oberbürgermeister täte gut daran, nun selbst eine Bürgerbefragung anzustreben. Auch die Stadt hätte damit die Chance, ihre Position durch die Potsdamer legitimieren zu lassen – oder vor einer Fehlentwicklung bewahrt zu werden!
Dass dies nicht den Abschluss der weltanschaulich verklärten sozialen Kämpfe in der Stadt bedeuten wird, ist klar. Die Garnisonkirche in ihrer ganzen Pracht wird das nächste Ziel, vielleicht sogar der krönende (sic!) Höhepunkt sein. Damit können die Traditionalisten einen weiteren Etappensieg verbuchen, Potsdam vollständig in preußisch Aspik einzulegen und damit zur kulturellen Speerspitze der Reaktion in Deutschland zu machen.
Jenen, die in der kommenden Woche den Beginn des Abrisses sogar feiern wollen und sich auf lange „Beteiligungsprozesse“ berufen, sei mit auf den Weg gegeben: Beteiligung sollte sorgsam behandelt und ernsthaft betrieben werden. Wenn Menschen Gebäude erhalten und nutzen wollen, ist es nicht nur nutzlos sondern eher zynisch, sie zur Fassadenfarbe der nach dem Abriss geplanten Neubauten zu beteiligen. Wer so agiert, braucht andere nicht über aktive Bürgerbeteiligung und lebendige Demokratie zu belehren.
In der PNN-Reihe zur Debatte um die Entwicklung der Potsdamer Mitte erschien zuvor am 14. August der Beitrag von Christian Seidel „Behutsam heißt kleinteilig“.
Sascha Krämer war sieben Jahre Kreisvorsitzender der Linken in Potsdam. Seit Ende Mai lebt der 40-Jährige mit seiner Familie in Südafrika. -
In der PNN-Reihe zur Debatte um die Entwicklung der Potsdamer Mitte erschien zuvor am 14. August der Beitrag von Christian Seidel „Behutsam heißt kleinteilig“.
Sascha Krämer
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